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Online abgewickelt

■ Burdas "Europe Online" ist mit journalistischen Ambi- tionen ans Netz gegangen. Bisher ist daraus nichts geworden

Michael Konitzer hat einen schwierigen Job. Er ist Chefredakteur bei Europe-Online Deutschland. Manchmal verschlägt es ihm da schier die Sprache. „Einen Online-Dienst zu machen, ist ein echtes Abenteuer“, schrieb Michael-A. Konitzer neulich in seinem „Digitalen Tagebuch“. „Es läßt einen eine Menge Erfahrungen in der digitalen Welt sammeln und birgt viele Überraschungen.“

Täglich muß der 43 Jahre alte Journalist solche höchst eigenen Erfahrungen mit dem Netz niederschreiben; mal hat von einer geplanten Internet-Fernsehserie reden gehört, dann ist ihm die Skepsis des Bundespräsidenten Herzog zum Thema Informationsgesellschaft aufgefallen, aber dann ist ihm plötzlich auch noch der Abschied einer Redaktionsassistentin abenteuerlicherweise in die Quere gekommen.

Die wirklich nervenaufreibenden Informationen aus dem eigenen Hause jedoch verschweigt Konitzer seinen Lesern auf der Seite http://www.europeonline. com/deu/live/whatsnew.htm. Abenteuerliches ist da täglich zu vermelden, und manche machen ebenfalls sehr reiche eigene Erfahrungen. Doch kein Wort über die Auflösungserscheinungen in der Redaktion, über den Rückzug aus der journalistischen Wertarbeit, die in der Eigenwerbung immer noch propagiert wird.

Am Anfang des Abenteuers standen tatsächlich große Ambitionen. „Europe Online – ein Service von Europäern für Europäer. Ein eigenes Redaktionsteam arbeitet täglich an aktuellen Nachrichten und Angeboten in deutscher Sprache: Leicht verständliche, nützliche und aktuelle journalistische Inhalte“ – davon träumten die Burda-Pressemitteilungen, als Europe Online Anfang des Jahres nach langer Verzögerung endlich den Dienst aufnahm.

Die Realität sah und sieht wesentlich unspektakulärer aus: keine exklusiven Geschichten, die Ratgeber- und Medienseiten sind nicht aktueller als vergleichbare Print-Zeitschriften. Die Tagesnachrichten hatten gestern zum Beispiel denselben Aufmacher wie Tageszeitungen, der potentielle Aktualitätsvorsprung wurde nicht genutzt.

Immerhin: der „Europe Online“-Newsticker soll als erster den Tod des französischen Staatspräsidenten François Mitterrand gemeldet haben. Hat aber wahrscheinlich niemand gemerkt.

Inzwischen herrscht Katerstimmung in der Redaktion am Münchner Rosenkavalierplatz. Die Zukunft ist ungewiß, scheidende Redakteure verhandeln um ihre Abfindung. Böses schwante ihnen schon länger: man habe schon gewußt, daß es so nicht weitergehen kann. Zu wenige Werbekunden, zuwenig Geld. Burda habe da zuviel Geld hineingebuttert, so ein Insider, nach dem Absprung wichtiger Gesellschafter wie Springer sei das Konzept in der ursprünglichen Fassung nicht mehr zu halten. Niemand will zitiert werden, alle verweisen auf den „Kress-Report“, dessen Informationen hätten sie nichts hinzuzufügen. Der brancheninterne Informationsdienst meldete in seiner jüngsten Ausgabe süffisant einen „vorgezogenen Redaktionsschluß“ des ehrgeizigen Burda-Projektes: „Das verschafft einem guten Dutzend Journalisten bei Europe Online Deutschland die Möglichkeit, sich neu zu orientieren.“

Schon vorher hatte die Burda- Gruppe ihre Anteile an Europe- Online an die Luxemburgische Holding Europe Online S.A verkauft. Geschäftsführer dort ist Jürgen Becker, der von sich selber sagt: „Ich bin bekannt als Kostenknecht.“

In Luxemburg indes will man von Entlassungen und Reduzierung des Angebots nichts wissen: „Wir planen eine Erweiterung. Im kommenden Jahr wird Europe Online in mindestens zwei weiteren Ländern ans Netz gehen“, berichtet die fröhliche Pressesprecherin Tanja Rosenberg.

Die eigenen journalistischen Angebote würden allerdings zurückgefahren, gibt auch sie zu. Denn mit Redaktionen, wie sie dem Stern, dem Spiegel oder der taz zur Verfügung stehen, könne es das kleine Münchner Team naturgemäß nicht aufnehmen.

Also wird sich Europe Online mehr und mehr auf den technischen Aspekt konzentrieren. Dazu kommt ein publikumswirksames Service-Angebot. Die Home- Banking-Funktion, für viele User offenbar schon jetzt der einzige Grund, das Modem anzuwerfen, soll weiter ausgebaut werden.

Seit der Anschluß ans Internet dazugehört und niemand mehr bloß einen Computer alleine kaufen mag, ist CeBIT in Hannover auch eine Pflichtveranstaltung für Onlinedienste, die in Deutschland Fuß fassen wollen. Bertelsmann hat sich dafür den alten Hasen „America Online“ ins Haus geholt. Europe Online, so war auf der Messe zu hören, plant eine Kooperation mit dem Datenbank- und Systemspezialisten Oracle. Worin sie genau bestehen wird, ist noch nicht bekannt, probeweise hatte Oracle ein paar seiner Demonstrationsterminals schon mal auf das Programmm aus München eingestellt. Sie wurden belagert wie alle Geräte mit Netzanschluß auf dieser Messe. Beim eigenen Stand von Europe Online, gleich neben CompuServe, war zuweilen kaum noch ein Durchkommen durch die Menge. Nicht nur die Kontrolle das Bankkontos, auch die Planung der Urlaubreise seien nun bequem wie nie zuvor zu bewältigen, so lautete die unermüdlich wiederholte Werbebotschaft. Etwas leiser klangen dann auch die Hinweise auf die topaktuellen Nachrichten, kaum jemand verstand noch, daß wenigstens einige davon tatsächlich aus der Feder von Konitzer und seinen Leuten stammen.

Welches Konzept für die Zukunft die deutsche Abteilung von Europe Online denn nun verfolgen will, ist bisher nur in Umrissen zu erkennen. Während allenthalben über Abfindungen und Weiterbeschäftigung verhandelt wird, ist soviel bereits klar: „Content Provider“, also Inhalts-Anbieter, sollen angeworben werden. Dabei wird es keine Rolle spielen, ob eine Zeitung ihre Texte oder eine Kosmetikfirma ihre neue Hautcreme im Netz sehen will. Die übriggebliebenen Journalisten werden zu Hypertext-Programmierern und WWW-Beratern umfunktioniert.

Das aber wollen einige Journalisten nun nicht mehr mitmachen. Doch selbst wenn sie alle PR- Agenten werden wollten: Vielen fehlt die schlicht technische Qualifikation für die Gestaltung der Web-Seiten. Laut Kress-Report sind abgesehen davon für die bisher 45 Mitarbeiter nur noch 31 Planstellen vorhanden. In den nächsten Wochen wird verhandelt.

Im Zweifel hilft Europe Online mit einem eigenen Horoskop weiter. Singles sollten mehr flirten, ist der Rat des heutigen Tages für Skorpione, mehr für die Mitarbeiter des eigenen Hauses paßt die Losung für den 29. März: „Das Betriebsklima könnte etwas angespannt sein. Streiten Sie sich nicht um Kleinigkeiten.“ Stefan Kuzmany

kuzmany@ifkw.uni-muenchen.de

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