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Libanese bleibt Hauptverdächtiger

In Lübeck hat jetzt erstmals der Haftrichter die Ermittlungen der Polizei bestätigt. Dennoch bleiben noch immer wichtige Fragen im Fall des Lübecker Verfahrens offen  ■ Aus Kiel Kersten Kampen

Lübeck (taz) – Safwan E. bleibt in Haft. Beim Haftprüfungstermin gestern in Lübeck entschied ein Richter, daß weiter dringender Tatverdacht gegen den 21jährigen bestehe. Safwan E. wird verdächtigt, am 18. Januar ein Lübecker Asylbewerberheim in Brand gesteckt zu haben. Bei dem Feuer starben zehn Menschen, und mehr als dreißig waren zum Teil schwer verletzt worden.

Seit einiger Zeit wurde Kritik an der Ermittlungsarbeit immer lauter. Zumal erste öffentlich präsentierte Ergebnisse drei Tage nach der Brandnacht am 18. Januar eher unwahrscheinlich klangen. Der 21jährige Safwan E. soll gegenüber einem Rettungssanitäter in der Brandnacht gesagt haben: „wir waren es“, sowie andere Details der Tat preisgegeben haben. Als Motiv gab die Staatsanwaltschaft vage „Streitereien“ im Haus an.

Zweifel waren schnell gesät: Wie kann ein Mann ein Haus anzünden, in dem er mit seiner Familie lebt? Wieso meldet sich der Hauptbelastungszeuge erst mehr als 24 Stunden später? „Dünne Beweislage“, sagt dazu der Anwalt des Verdächtigen. Vor Kameras läßt sich zudem kein Hausbewohner finden, der von einem Streit im Haus berichten will – im Gegenteil: in dem Haus, in dem über vierzig Menschen auf engstem Raum zusammenlebten, soll es immer friedlich zugegangen sein.

Hauptbelastungszeuge wird geglaubt

Die Staatsanwaltschaft hält sich bedeckt. Mehr als einmal betonte Oberstaatsanwalt Klaus-Dieter Schultz, die Ermittlungen seien nicht öffentlich. Um sie nicht zu gefährden, werden keine weiteren Angaben gemacht, und zur Aufgabe der Anklagebehörde gehöre es auch, Entlastendes zu ermitteln. Aus gut informierten Kreisen ist zu erfahren, der Hauptbelastungszeuge sei glaubwürdig.

Mosaikstein um Mosaikstein tragen die Ermittler zusammen. Brandsachverständige des Landeskriminalamts und Bundeskriminalamts gehen von Brandstiftung aus und davon, daß das Feuer nicht von außen gelegt worden sein kann. Nicht weiter jedoch kommen die Ermittler beim Motiv. Gerüchte werden verbreitet, anonyme Schreiben landen auf dem Tisch der Sonderkommission: es habe eben doch keinen Frieden im Haus gegeben, alle hatten „Dreck am Stecken“. Von Autoschiebereien, Dealern, Prostitution sogar Kinderpornographie ist in den Briefen die Rede. Geld und Goldschmuck im Wert von mehreren zehntausend Mark wurden in dem Haus gefunden. Vereinzelt berichten Zeugen gegenüber der Polizei, daß auch schon vorher im Haus gezündelt worden sei.

Es klingt wie rechtsradikale Propaganda, und das wenige Wochen vor der Wahl in Schleswig- Holstein; die Ermittler sind vorsichtig, die meisten Hausbewohner mauern, der Verdächtige bestreitet die Tat. Weil die Ermittler nicht weiterkommen, wird zu einem umstrittenen Mittel gegriffen: Lauschangriff – richterlich genehmigt. Die Abhöraktion wurde Ende Februar bekannt. Und die Staatsanwaltschaft bestätigte: „Ja, es wurde ohne Wissen des Beschuldigten abgehört – in der Besucherzelle.“ Der Tatverdacht habe sich dadurch erhärtet.

Details bleiben weiter unbekannt

Einzelheiten aus den Abhörprotokollen werden nicht mitgeteilt, und wie als Rechtfertigung wird der entsprechende Paragraph der Strafprozeßordnung im Wortlaut in der Pressemitteilung abgedruckt. Wieder wird Kritik laut: falsch übersetzt, Sätze aus dem Zusammenhang gerissen, Unschuldsbeteuerungen des Verdächtigen werden unterschlagen. Die Staatsanwälte räumen nur ein, zu Beginn der Abhöraktion habe es technische Probleme durch Hall gegeben, und der erste Dolmetscher habe Schwierigkeiten mit dem Dialekt des Verdächtigen gehabt. Ein zweiter kompetenter Übersetzer wurde gesucht und gefunden.

Die Ermittler sind sich sicher, Belastendes in der Hand zu haben. Wie aus gut informierten Kreisen verlautete, sollen sich bei den Gesprächen rassistische Züge offenbart haben. Safwan E. und einige Familienmitglieder sollen Schwarzafrikaner als Sklaven bezeichnet haben. Sein Vater habe ihm mitteilen lassen, „sag nichts, stell dich als Unschuldiger dar“. Alle anderen Beteiligten habe der Vater zum Schweigen verpflichtet.

Safwan E. wurde mit den Protokollen konfrontiert, ein dritter Dolmetscher hinzugezogen. Ausgerechnet an den Stellen, die ihn belasten könnten, will der 21jährige nichts verstanden haben oder etwas anderes gemeint haben, heißt es aus Sicherheitskreisen. Für die Ermittler ein weiteres Mosaiksteinchen.

Unterdessen hat Jean-Daniel Makudila, der in der Brandnacht seine fünf Kinder und seine Frau verlor, in einem Interview der Lübecker Nachrichten erklärt, „die Polizei wird wissen, weshalb sie den Libanesen verhaftet hat – ich habe Vertrauen in ihre Arbeit“. Er selbst hat sich entschlossen, als Nebenkläger aufzutreten.

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