Die Fühlung von Tod und Geld

■ Bruno Ganz las aus Werken des Nobelpreisträgers Elias Canetti

Dem 1994 verstorbenen Literaturnobelpreisträger Elias Canetti war der Tod zeitlebens Thema und Feind zugleich: „Ich verfluche den Tod“, bekannte der Romancier, Dramatiker und Theoretiker entschieden. Konsequent endete denn auch die Canetti-Lesung von Bruno Ganz am Donnerstag im Thalia mit einem aufbegehrenden Hölderlin-Zitat: „Ich begreife den Tod nicht in seiner Welt.“

Der Schauspieler stellte den Autor bedingungslos in den Vordergrund, er verlor kein einziges Wort über seine Textauswahl, deren Kriterien und Absichten. Doch die vorgetragene Collage entpuppte sich als kompositorisches Kunststück, das dem hochkonzentrierten Publikum neben einem Kapitel des Romans Die Blendung (1930) auch ein bedrängendes Kapitel aus seinem theoretischen Hauptwerk Masse und Macht (1969) zumutete. Reisebetrachtungen aus Die Stimme von Marrakesch (1968) und ein Essay aus der Sammlung Das Gewissen der Worte (1975) vervollständigten das Programm.

Worin aber besteht der Zusammenhang von Tod und Geld? Canetti – und Ganz – lenkten den Blick auf jene, die nichts besitzen, außer ihrem Leben: In Marokko sind es Scharen von Bettlern, die einen gespenstischen Friedhof umlagern und den Besucher bedrängen. Dort trifft der Fremde auch einen blinden Maribu, der die ihm überlassenen Geldstücke gemächlich kaut und mit seinem wundersam üppigen Speichelfluß ihren Wert „schmeckt“ (Ähnlichkeiten mit psychoanalytischen Einsichten sind keineswegs zufällig). Da der Heilige das „schmutzige“ Geld zu werten weiß, kann der Maribu die „Zärtlichkeit für die Münze“ in Zärtlichkeit für die Menschen verwandeln.

Der Jude Canetti interpretiert in Masse und Macht die Wirkung der Weltwirtschaftskrise von 1929 als gravierende kollektive Kränkung der Deutschen. Da sie erfuhren, daß ihr Geldbesitz wertlos wurde, mußten sie sich selbst abgewertet fühlen. Diese Entwertung haben sie dann grausam und gnadenlos weitergegeben – an die Juden.

Geld und Vernichtung gehören in Canettis Texten untrennbar zusammen und rühren damit an die Grundfesten unserer Zivilisation – den Mammonismus, aus dem schließlich tödliche Zerstörungskraft erwächst. Gleichsam beiläufig sprach Bruno Ganz von alldem. Mit seiner wunderbar verhaltenen Rezitation erwies ein großartiger Schauspieler einem großen Denker seine Reverenz. Frauke Hamann