Beim ZDF ist das Soziallotteriehilfeglück los

■ Seit langem schon machen wir uns Sorgen um die „Aktion Sorgenkind“. Jetzt will uns Dieter Thomas „Gutmensch“ Heck das „Große Los“ als große Hilfe verkaufen

Neulich in einem Berliner Hotel waren die guten Menschen wieder los. Mittendrin in einem 60er-Jahre-getäfelten Gartensaal haben sich die Journalisten nur so gedrängelt. „Meine Güte!“ hieß es da erstaunt von den Stühlen, wo Dieter Stolte (ZDF-Intendant), Axel Beyer (ZDF-Unterhaltungschef) und Dieter Thomas Heck (ZDF- Alt-Moderator) ungläubig vor sich hinkippelten. Sie glaubten noch, einfach nur eine weitere altneue Gameshow ankündigen zu müssen: „Das große Los“ mit karitativem Zweck.

Denkste! Sie haben ihre Rechnung nicht mit uns Preview-Journalisten gemacht. Die Nase mitten drin im frischwindigen Zeitgeistlüftchen wurde wieder viel im Foyer geraucht, wie damals, als sie uns den Sinn für ein Leben gaben.

Denn nun plant das ZDF gemeinsam mit der Aktion Sorgenkind für den 16. Mai eine Art Revival von Wim Thoelkes „Der Große Preis“. Und der ist nasen- und instinktlos, wer da nicht an den TV- Ausbruch aus der Leistungsgesellschaft zurück in die 70er Jahre wittert. Hitparaden-Heck und Aktion Sorgenkind! Manchmal ist das Leben wieder schön.

Denn was war nicht alles los seit Anfang der 60er Jahre, nachdem die Pharmaindustrie unsere Sandkastenpartner per Beruhigungstabletten für Schwangere („Contergan“) schwerbehindert ins lebenslange Rennen schickte. Standortwunder Deutschland gab plötzlich seinem Maschinenherzen einen Ruck und entwickelte einen Merks für Behinderte. Wir alle erkannten in uns und anderen das Sorgenkind, den Außenseiter.

Das große Los mit dem „Großen Preis“

Gute Menschen waren Mode. Wim Thoelke wirkte auf Erwachsene wie Teddybären auf Kinder. 1975 hatte „Der Große Preis“ Quoten von bis zu 63 Prozent, 1976 bis zu 67 Prozent, und noch 1979 belegten Wum, Wim und Wendelin die ersten drei Plätze in der „Jahreshitliste“ des ZDF. Dann aber kam der falsche Teddy an die Macht: Helmut-Pershing Kohl und mit ihm das Privatfernsehen. Von den Contergan-Geschädigten war von nun an kaum mehr was zu hören und zu sehen. Wir anderen wurden in die Arbeitslosigkeit, auf die Börse oder in die Massenuniversität entlassen und Wim Thoelke focht gegen RTL einen aussichtslosen Kampf gegen das Comeback des Darwinismus.

In den 90er Jahren setzten dann Kulenkampff, Caroline Reiber, Wolfgang Lippert, die deutsch- deutsche Wiedervereinigung und Elke Schneidebanger die Sendung mit den Sorgenkindern vollends ins Off. Das Fernsehen zeigte statt dessen in seinen Gameshows ganz gesunde Ossi-Kandidaten, die sich freiwillig Dartpfeile in den Rücken schießen lassen, gemäß dem 89er Trend: Masochismus statt Sozialismus. Und so wollte man sich zuletzt nur noch auf einer ganz, ganz fernen Metaebene als Sorgenkind begreifen.

Und doch knarrt die Wiege durchs ganze Leben. Als der Hitparaden-Heck jetzt mit seiner Reibeisen-Stimme meinte, daß er sich immer schon für Tiere eingesetzt habe: „Wer drei gesunde Kinder hat, kann nicht ,Nein!‘ zur Aktion Sorgenkind sagen.“ Da wollte man sich wieder an den Händen fassen und den Lennon-Song „Give Peace a Chance!“ summen: Teddy Heck wird kommen und es uns allen besorgen.

Wir Sorgenkinder sind auch Racheengel

Aber so ist das mit den alten Kinderliedern, die Alten begreifen nicht, was an ihnen so klasse war. Dieter Stolte las gelangweilt was aus dem Pressemäppchen vor und damit den alten Satz von der Aktion Sorgenkind als der „größten Bürgerinitiative, die sich nicht gegen etwas wendet, sondern für etwas ist“.

Da wollte man schon wieder verbittert in sein Kaffeetäßchen weinen. Denn wir Sorgenkinder sind doch traditionell dagegen. Als dann auch noch der Geschäftsführer der Aktion Sorgenkind, Dieter Gutschik, lang und breit lächelnd erklärte, daß das Neue an dem Sorgenkind-Revival im Grunde nur das neue „Superlos“ sei, das als „Los für's Leben“ ganz viele Traumhäuser anbieten will, da fühlten wir uns wieder so matt wie in den 80er Jahren. Statt daß sie den Sandkastenpartner in uns stärken und den Kommunitarismus fördern, wollen sie uns nur wieder per Mammon zum guten Menschen dressieren. Das wird nicht gutgehen, da stimmt was nicht vom Herzen her. Oder?

Und so war denn auch der Rachegang von uns Zeitgeistjournalisten auf der Sorgenkind-Konferenz ziemlich hart und tückisch. Eine Kollegin wies sie alle darauf hin, daß es sowohl nach dem alten wie nach dem neuen Duden nie und nimmer „Das Los für's Leben“ heißen darf. So ein „für's“ ist grottenfalsch! Wegen dieses einen, häßlichen, kapitalistischen und so menschenverachtenden Apostrophs. Es muß anders, es muß heißen: „Ein Los für ein Leben!“

Und so formierte sich für Minuten in diesem kleinen, seiner Bedeutung so ungewissen Berliner Saal eine Art von Widerstandsbewegung für etwas, das anders ist als das Stolte- und Kutschik-Etwas. Hoffnung ward zum Flächenbrand. Demnächst mehr von dieser Front – Venceremos, companeros! Marcus Hertneck