Der General – gnadenlos modern

Generalsekretär Guido Westerwelle sieht morgen drei Landtagswahlen für die FDP gewonnen. Den smarten Rechtsanwalt auf Erfolgskurs nervt sein Yuppie-Image: „Ich bin nicht oberflächlich“  ■ Von Bascha Mika

Brav war früher. Jetzt ist Westerwelle. Das Praktipack der FDP – jung, dynamisch, kämpferisch, von der Fönfrisur bis zur Fessel. Ein liberaler Generalsekretär, lieber ein General, der den Liberalismus neu erfinden will. Und den Optimismus gleich dazu. Einer, der nach einem Tiefschlag hochkommt und grinst, als finde er die Welt ungemein Klasse. Mit diesem Mann träumt die FDP ihre Zukunft. Muß sie wohl.

Die Zukunft hat schon begonnen. Drei Landtagswahlen am morgigen Sonntag? Geschenkt! „Es gehen drei von dreien gut“, verkündet der Generalverkäufer der FDP, so als würden die Demoskopen den Freidemokraten Glück verheißen.

Tun sie nicht. Nur in Baden- Württemberg sind den Blau- Gelben um die sechs Prozent vorausgesagt; in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein geht's um Kopf und Fünf-Prozent-Kragen. Und was wird aus der Bonner Koalition? Und dieser Partei, die sich fast zu Tode liberal gelallt hat?

Der Generalsekretär nimmt sich die demokratische Freiheit, darauf nicht zu antworten. Lieber redet er über das „typisch liberale Lebensgefühl“.

Zum Beispiel in Ahrensburg im schleswig-holsteinischen Speckgürtel von Hamburg. „FDP = Fit durch Power!“ röhrt der Moderator ins Mikrofon, als hätten sich die Parteigänger mit „Red Bull“ bedröhnt. Freiheit und Abenteuer nach dem Genscher-Motto: „Wenn einen niemand lobt, muß man sich selber loben.“

Westerwelle muß in den Ring. Nicht bildlich, wörtlich. Auf der Bühne des Ahrensburger Schulzentrums ist ein Boxring abgesteckt. Sportiv kraxelt er durch die Seile und blickt etwas hilflos aus blauen, bebrillten Augen. Ein schlanker Mann, der sein Rückgrat ungemein gerade hält und höchst adrett in einem gelbbraunkarierten Jackett steckt. „In welche Ecke soll ich?“ fragt er ins Publikum. „In die Mitte!“ feixt es zurück. Immerhin sitzen 300 Leute im Saal, eine Riesenveranstaltung für die FDP. Speckgürtel eben.

Federnd sucht sich der „Jungstar“ (Originalton Kinkel) den rechten Standort und spult elastische Wortgewinde ab: „Gesellschaftliche und wirtschaftliche Freiheit gehören...“ – „Für ökonomische Vernunft...“ – „Das Leistungsprinzip...“ Niemand beschimpft die zweite deutsche Republik flotter als Westerwelle. „Bürokratiestaat! Steuerstaat! Schuldenstaat!“ Es sprudelt mit affenartiger Geschwindigkeit aus ihm heraus – und er verhaspelt sich tatsächlich nicht.

„Reden kann er ja!“ brummt eine dralle Fünzigjährige in Kostüm mit Perlenkette und mustert den jungschen Vorturner zurückhaltend. Der wärmt nicht das Herz, der streichelt höchstens mal die Parteiseele. So kampflustig seine helle Stimme auch schallt, die Kühle darin ist unüberhörbar. Und die Distanz. Hier macht einer seinen Job.

„Wir sind nicht auf der Suche nach der absoluten Mehrheit – zur Zeit“, kalauert Westerwelle gerade, „wir bewegen uns um die zwanzig Prozent.“ Leises Stöhnen und hämisches Gelächter aus dem Saal. „Nun sein Se mal ein bißchen optimistischer“, faucht er von der Bühne, „wie wollen Sie sonst andere mitnehmen?!“ Westerwelle pur. Applaus! Da lacht der General endlich zufrieden und sieht dabei so jung aus, wie er tatsächlich ist.

Das Politgeschäft hat er ab 1980 bei den Jungen Liberalen, den Julis, gelernt, jenem FDP-Nachwuchs, der bereits wohlfrisiert mit dem kleinen Aktenkoffer zur Welt kam. Seitdem hat der Anwaltssohn sein Yuppie-Image weg. Und ist spontan gekränkt: „Natürlich nervt mich dieses Image, denn es ist oberflächlich, und das bin ich nicht.“ Doch in der nächsten Sekunde ist er wieder so cool, als wolle er seinem Ruf doch gerecht werden: „Es ist zuviel gesagt, daß es mich ärgert.“ Das klingt ziemlich abgeklärt. Der junge alte Mann ist immerhin vierunddreißig.

Seit seiner Juli-Zeit kann Westerwelle über jedes politische Thema klugschwätzen – und sich damit unbeliebt machen. Schon als Juli-Vorsitzender murrte er laut über die „Schmusetaktik“ der FDP gegenüber der Union; immer wieder rieb er den Liberalen unter die Nase, daß sie sich bereits 1971 mit ihren Freiburger Thesen zur Ökologie bekannt hätten. Er warf CSU-Strauß „Blutsbrüderschaft mit Pinochet“ vor und mobilisierte die Basis, als sich die Steuersünder seiner Partei selbst amnestieren wollten.

„Ich bin sehr kämpferisch und hab' viel Energie“, sagt Westerwelle über Westerwelle. Doch manchmal findet selbst er sich „zu forsch und zu dampfig“. So einen läßt keine Partei gern hochkommen. Er wurde Generalsekretär, als dem damaligen Parteivorsitzenden Kinkel gar nichts anderes mehr übrigblieb. Das Monsterwahljahr 94 hatte die FDP arg gebeutelt. Westerwelles Vorgänger Werner Hoyer war mit seinem Slogan von der „Partei der Besserverdienenden“ mit schuld am Desaster. Hoyer mußte weg, ein Kontrastprogramm her. Einer, der frisch genug war, den Neuanfang auch für jüngere Wähler herbeizuoptimisteln.

Die Politik vergleicht der promovierte Jurist gern mit seiner Arbeit als Prozeßanwalt. „Im Gerichtssaal müssen Sie auch so auftreten, daß Sie den handelnden Personen ihr Spiel aufzwingen.“ Und weil er als politikbesessen gilt, betont er noch schnell, daß ihm dieses Spiel Spaß mache. Dabei rutscht er seinem Gesprächspartner bis zum Sesselrand entgegen und leistet auch mit den Händen Überzeugungsarbeit. Nur dem Gesicht bleibt die Freude fremd. In der Öffentlichkeit kontrolliert dieser Mann seine Gefühle so gnadenlos, daß er sie vielleicht gar nicht mehr kennt, wenn sie ihm mal begegnen.

Als General kann Westerwelle endlich tun, wovon er als ehrgeiziger Juli immer geträumt hat: „reinrassige FDP-Politik“ machen, den Grünen den Kampf ansagen, die Freidemokraten von einer „Funktions-“ zu einer „Programmpartei“ tunen. „Die große Mehrheit der FDP will einerseits eine vernünftige Wirtschaftspolitik, andererseits aber nicht den Mief und Muff der konservativen Gesellschaftspolitik.“ Sagt's, und strickt daraus einen Programmentwurf, der im Sommer verabschiedet werden wird. Das soll der große Wurf des Guido Westerwelle werden, dem es bisher an handfesten Erfolgen mangelt. Programm für eine Parteileiche? Keinen General, erst recht nicht diesen, hat der Tod je gekümmert.

Stets hat Westerwelle versucht, sich das Etikett „links“ oder „rechts“ vom Leibe zu halten. Ging es um Bürgerrechte und Ausländerpolitik, steckte er mit den Linksliberalen zusammen, bei marktwirtschaftlichen Fragen stand er bei den Wirtschaftsliberalen. Doch schon immer wollte er der FDP aus Marketinggründen ein „unverwechselbares Profil“ verpassen. Das ist ihm mit dem Entwurf, den er maßgeblich beeinflußt hat, zweifellos gelungen. Das neue Styling der FDP ist modern bis zum Abwinken.

Weg mit der „Gefälligkeitsdemokratie“, her mit der „Verantwortungsgesellschaft“! Der Sozialstaat kränkelt, rotten wir ihn aus! Staatsschulden per Grundgesetz verbieten, Steuern per Grundgesetz regeln. „Marktwirtschaft!“ „Wettbewerb!“ „Fortschritt!“ Und „Leistung, Leistung, Leistung“ – im Namen der „Freiheit“ selbstverständlich. Marktliberalismus pur. Und weil das so sozialdarwinistisch klingt, unterstellt der Entwurf, daß die Leistungsstarken vom sozialen Ethos geradezu besessen sind. Und nichts lieber tun, als freiwillig Verantwortung für die Leistungsschwachen zu übernehmen.

War da mal eine FDP der freien Bürgergesellschaft? Die wird im Programm karg abgespeist: Keine „Minderheitendiskriminierung oder Ausgrenzung von Ausländern“; keine Benachteiligung von nichtehelichen und gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, die im neoliberalen Jargon „neue Verantwortungsgemeinschaften“ heißen.

Selbst einem der Koautoren des Entwurfs schwant, daß die FDP mit diesem Programm zur „Partei der sozialen Kälte“ avancieren könnte. Das kann Westerwelle nicht zulassen. Also rutscht er wieder auf seinem Sessel nach vorn, bemüht die Hände und behauptet: „Daß ich für Leistungsbereitschaft eintrete, ist hochsozial motiviert.“

Die historische Lieblingsgestalt von Guido Westerwelle ist der Sozialfall Kaspar Hauser. „Ich kann sehr viel mit seiner Melancholie anfangen.“