Rote Musik gegen die gelbe Gefahr

Vietnams regierende Kommunisten registrieren mit Erschrecken den ständig zunehmenden Kapitalismus und erklären „sozialen Verderbtheiten“ und unsozialistischer Moral den Krieg  ■ Aus Hanoi Claudia Blume

Eine große rote Faust schlägt auf Prostituierte und Drogensüchtige ein; pornographische Bücher und Videos werden ins Feuer geworfen. Solcherlei Propagandaplakate, wie sie derzeit überall in Hanoi angebracht sind, sprechen eine eindeutige Sprache: „Die sozialen Übel sind auf dem Vormarsch“, plärrt es mehrmals täglich aus Lautsprechern. „Sogar Kinder sind schon davon betroffen. Die traditionelle Moral ist in Gefahr.“ Parteizeitungen sprechen von westlichem Kulturimperialismus: Vietnams Regierung hat „negativen“ ausländischen Einflüssen den Krieg erklärt.

Längst hat die herrschende Kommunistische Partei erkannt, daß die wirtschaftliche Öffnung Vietnams ihr nicht nur Vorteile bringt. Halbseidene Massagesalons, Karaoke-Bars, Nachtclubs und „Bia oms“ – Bierkneipen mit Hostessenservice – sind in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen. Die Zahl von Prostituierten und Drogensüchtigen steigt rapide; allein in Ho-Chi- Minh-Stadt sollen mehr als 30.000 Menschen opiumsüchtig sein. Nicht nur in diesem traditionellen Sündenbabel des Südens, selbst im puritanisch verschlafenen Hanoi bieten Fahrer von Fahrradrikschas inzwischen neben Transportdiensten auch Mädchen und Drogen an.

„Kulturelle Abfallprodukte“

Schon 1993 dachte Premierminister Vo Van Kiet, einer der stärksten Befürworter der Öffnungspolitik, laut darüber nach, wie man mit dem Ausland Geschäfte machen könne, ohne gleichzeitig unliebsame Einflüsse ins Land zu lassen. „Der Austausch zwischen verschiedenen Ländern ist unumgänglich und wichtig“, sagte er damals. „Aber wir müssen aufpassen, daß wir nicht die kulturellen Abfallprodukte importieren, die die anderen Nationen loswerden wollen.“ So gründete Vo Van Kiet im Ministerium für Arbeit, Soziales und Invaliden eine Spezialabteilung zur Bekämpfung von „sozialen Übeln“. Die Abteilung ist nicht nur für ideologische Kampagnen zuständig, sondern auch für die fast vierzig staatlichen vietnamesischen „Erziehungs- und Rehabilitationszentren“, in die Prostituierte und Drogensüchtige zwangseingewiesen werden.

Hatten die Zeitungen schon seit Jahren gegen die schlechte Moral gewettert, erreichte der Kulturkampf in diesem Jahr seinen vorläufigen Höhepunkt. Anfang Februar trat der Erlaß 87/CP gegen „soziale Verderbtheiten“ in Kraft. Regelmäßig erleiden seither Bars, Discos und Videogeschäfte Razzien, viele Etablissements sind schon geschlossen worden. Besitzer von Karaoke-Bars müssen Zwischenwände und getönte Scheiben entfernen: „Spezialservice“ in dunklen Privat-Separées soll es künftig auch nicht mehr geben. Statt auf Karaoke-Videos mit leicht bekleideten Mädchen laufen die Untertitel zum Mitsingen nun auf lieblichen Landschaftsbildern. Statt der sogenannten gelben Musik – rührselige Liebesschnulzen – läuft in den Bars immer mehr „rote Musik“, also patriotische Lieder über die Revolution. Erlaubt sind nur Musikvideos und Spielfilme im Besitz des staatlichen Filmverleihs, die den Stempel der Kulturbehörde tragen. „Wir haben jetzt viel zu wenig Auswahl“, klagt die Besitzerin einer Karaoke-Bar, „die Kunden sind gelangweilt und unzufrieden.“

Zehntausende von nicht genehmigten Videocassetten sind bereits konfisziert und zerstört worden; unzählige pornographische Fotos und Kalender sind in Flammen aufgegangen. Wer sich nicht an die neuen Regeln hält, muß hohe Geldstrafen zahlen und riskiert die Schließlung seines Geschäfts.

„Rote Garden“ gegen ausländische Werbung

Das sozialistische Ringen um den Erhalt der Moral zieht noch weitere Kreise, die in gefährlicheb Nähe zur Fremdenfeindlichkeit geraten. Anfang Februar verschwand innerhalb kürzester Zeit fast wie von Geisterhand alle ausländische Werbung von den Straßen Hanois. Polizisten und an Rote Garden erinnernde jugendliche Freiwillige zogen durch die Stadt, überpinselten und überklebten Markennamen, von Coca Cola bis Carlsberg, und entfernten englische Leuchtreklamen wie „Hotel“, „Shop“ oder „Guesthouse“. Der Besitzer der beliebten Ausländerbar „Apocalypse Now“ mußte in der Bibel nach einer vietnamesischen Entsprechung für seinen Kneipennamen suchen. Dabei ist ausländische Reklame nicht per se verboten – sie muß jedoch in kleineren Buchstaben erscheinen als eine darüber angebrachte vietnamesische Übersetzung.

Wie ernst zu nehmen Vietnams Kulturbereinigungskampagne tatsächlich ist, daran scheiden sich bei Beobachtern die Geister. Im Juni wird der 8. Parteitag der Kommunisten die Marschrichtung der nächsten fünf Jahre festlegen. Vor allem die Konservativen scheinen sich davor in Szene setzen zu wollen – Öffnung hin oder her.