Wer nicht alles wagt ...

■ Von diversen künstlerischen Freiheiten, einem latent aggressiven Totmacher und dem Widerwillen, Blut zu spenden: "Tote sterben niemals aus" (19.25 Uhr, ZDF)

Man hatte uns zu Beginn der Pressevorführung gewarnt: Die Trackingstreifen, die das Gesicht des Stars eingangs so unschön verschandeln, seien der „künstlerischen Freiheit“ und nicht etwa einem technischen Defekt des Demobandes geschuldet.

Und tatsächlich beginnt sich Götz George schon bald in Bewegung zu setzen: „Bin ick schon drauf?“, hetzt er in seiner altbekannten, stimmtechnisch geschulten Atemlosigkeit. Und dann fährt die Kamera zurück, zieht immer weiter und weiter auf, bis aus dem Berliner Weltstar George der Berliner Fuhrunternehmer Benno geworden ist. Und dann noch weiter, bis wir schließlich erkennen, daß die künstlerische Freiheit sich hier die Freiheit nahm, uns zum Auftakt der Komödie ein bißchen Film im Film – ein Videoband nämlich – zu zeigen.

Derart schnell löst sich der kleine Scherz wieder auf, daß es des warnenden Hinweises von seiten der ZDF-Pressestelle wohl gar nicht bedurft hätte. Aber anscheindend gehört es zum professionellen Handwerkszeug aller ZDF- Angestellten, daß sie das Publikum in seiner Bereitschaft, einmal etwas anderes zu sehen, allzuoft weit unterschätzen. Sei es, wie es sei. Die Komödie „Tote sterben niemals aus“ bewegt sich jedenfalls – allen gewährten künstlerischen Freiheiten zum Trotz – ästhetisch und dramaturgisch auf absolut sicherem Parkett: Erzählt wird uns eine konventionelle Verwechslungskomödie, die mit einer Katastrophe beginnt, einem Happy End schließt – und dazwischen die üblichen Turbulenzen bereithält.

Aber der Reihe nach: Der Fuhrunternehmer Benno, der uns während des Vorspanns noch so stolz seinen Firmenspot präsentierte, wird, Phase 1 („Eine Katastrophe tritt ein“), vom Schicksal hart getroffen. Über Nacht brennt seine gesamte Firma ab, und weil die Versicherungspolice just am Vorabend auslief, ist der Mann nun im wahrsten Sinne abgebrannt. Kaum graut der Morgen, gibt man sich bei seiner Hausbank schon äußerst zugeknöpft, mittags ist die Kreditkarte gesperrt, am Nachmittag das Handy tot und am Abend das Notizbuch mit den „vielen lieben Freunden“ wertloser Datenschrott. Wir haben Götz George noch keine Viertelstunde bei seinem sozialen Absturz zugeschaut, da klingelt auch schon der Gerichtsvollzieher an der Tür. Benno ist ganz unten angelangt – die Posse kann ihren Lauf nehmen.

Auf dem Sozialamt trifft der unversehens mittellose Mittelständler nämlich den alternden Schauspieler Theobald Wolski (Walter Schmidinger), der Benno alsbald erklärt, wie man sich gegenüber dem Sozialstaat unternehmerisch zu gebärden hat: Nicht in einem Sozialamt, sondern gleich in mindestens vieren soll sich Benno seine Sozi abholen, weil es den Sachbearbeitern nicht um „Wahrheit, sondern um die Glaubhaftmachung von Ansprüchen“ geht. „Wer nicht alles wagt“, so Wolskis Credo, „muß Blut spenden.“

Und schon bald hat Benno die gesamte Republik flächendeckend mit seinen Sozialhilfeanträgen überzogen, zur besseren Orientierung in jeder Stadt mit anderem Namen, neuer Verkleidung und abgewandelter Legende. Und hier könnte alles vorzeitig zu einem Ende kommen, würde Benno nicht doch irgendwann die Übersicht verlieren – und die Komödie in Phase 2 („Etliche Turbulenzen“) eintreten ...

Unumwunden geben die verknöcherten Macher vom Lerchenberg zu, die Idee zu dieser Komödie allein „einer guten Laune“ zu verdanken – und dem vorrangigen Bestreben, dem Superstar Götz George eine möglichst attraktive Rolle anzubieten. Das habe ihm schon gefallen, erklärt dazu der Star: so viele verschiedene Typen! Und überhaupt: Ob es uns denn ein bißchen gefallen hätte? Als wir nicht recht damit rausrücken wollen, daß wir so viel immer gleich routiniert gespielten George gar nicht mehr sehen wollen; daß wir finden, er habe mal wieder seine so wunderbar zartkomisch agierenden Kollegen rüde an die Wand gespielt – da baut der routinierte Mediendarsteller sogleich vor: Etliches hätte natürlich noch viel, viel besser sein können, so George in seiner altbekannten, stimmtechnisch geschulten Atemlosigkeit. Wäre da nicht diese leidige Geldknappheit gewesen! Nur 25 Drehtage habe das ZDF bewilligt. Beim „Totmacher“ hätte man – „um nur mal ein Beispiel zu nennen“ – die doppelte Zeit gehabt! So aber, wo jede Minute für ordentliche Proben fehlte, keine Chance gewährt wurde, über alles noch einmal in Ruhe nachzudenken, nicht so Gelungenes womöglich am nächsten Tag nachzudrehen ...

Stumm, aber nicht unfreundlich sitzen Georges Nebendarsteller Ulrike Kriener und Walter Schmidinger auf ihren billigeren Plätzen, hören dem Lamento zu und werden sich vielleicht – wie wir – insgeheim gefragt haben, ob nicht vielleicht George selbst den größten Batzen des Budgets ...

Aber auch auf dieser Pressekonferenz geht es eben nicht um Wahrheit, sondern um die Glaubhaftmachung von Ansprüchen. Als schließlich alles vorüber ist, bittet uns die Pressesprecherin eindringlich, sich doch noch in die Anwesenheitsliste am Eingang einzutragen, die sie zum Nachweis der durch uns entstandenen Bewirtungskosten bei ihrer Rechnungsstelle werde einreichen müssen. Über die Geldnot des Senders nun doch erschrocken, unterschreiben wir alle – unter Berufung auf die „künstlerische Freiheit“ unseres Berufsstandes – mit mindestens drei wild ausgedachten Namen, bis das Formular endlich voll ist. Wer nicht alles wagt, muß Blut spenden. Klaudia Brunst