Wie heute der Rock

■ Die Deutsche Kammerphilharmonie bringt neuen Schwung im Klassikzirkus

Im Sitzen sieht man bei Klassickonzerten vom Publikum nur die Hinterköpfe. Anders als bei den Tote Hosen oder R.E.M. sind sie bei Bach und Bruckner freilich vorwiegend grau und weiß. „Das Klassikpublikum vergreist“, klagen drum auch Veranstalter und Plattenkonzerne. Im Parkett wie auf dem Podium fehlt die Jugend.

Dieser Gedanke muß sich schon Anfang der 80er Jahre in den Köpfen der besten Musikstudenten Europas ausgebreitet haben. Ihnen waren die großen Renommierorchester überdies zu lahm, sie wollten sinnvoll und spannend arbeiten – null Bock auf Musikbeamtenda-sein. Ergo gründeten sie eigene Klangkörper. Aus dem Jugendorchester der EU wurde das Chamber Orchestra of Europe. In Deutschland gründete sich parallel die Junge Deutsche Philharmonie. Aus ihr ging die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen hervor, die heute in Hamburg gastiert.

Wer sie Mozart spielen sieht und hört, begreift sofort, daß hier etwas anders läuft: Die Kapelle spielt in Kammerorchester-Stärke altes Repertoire auf alten Instrumenten, auf Darmsaiten die Geiger, auf ventillosen Naturhörner und -trompeten die Blechbläser. Chefdirigent Thomas Hengelbrock hat Musikern wie Lutoslawski, Kagel oder Harnoncourt lagen genug assistiert, um zu wissen, wie man ein Orchester auf Zack bringt. Da traut man Mozarts oder Haydns Musik endlich zu, daß sie einst den Zuhörern ähnliche Adrenalindosen entlockte wie heutige Rockgruppen den ihren.

Um das Maß des Innovativen voll zu machen, waltet in der Bremer Spitzenkapelle Basisdemokratie. Eine Vollversammlung hat das Sagen, alle bekommen das gleiche Geld und am Pult herrscht das Rotationsprinzip. Das klappt nun schon seit 1980 und wird immer erfolgreicher. Zu allen anderen Festivitäten der großen Musikwelt, denen die Kammerphilharmonie bisher aufgespielt hat, kommt im August das berühmte Tanglewood-Festival in den USA dazu.

In Hamburg beginnen die Bremer mit einer aktuellen deutschen Komposition, Dieter Schnebels Blendwerk aus: Re-Visionen I. Es folgt ein selten programmiertes Scherzo aus Schuberts Sinfonischem Fragment D 708 a, alsdann, ebenso selten und kostbar, Arie und Rezitativ Nr.3 aus Haydns Oper L'Anima del Filosofo. Salzburg-Debütantin Dorothea Röschmann bleibt auf der Bühne und singt Mozarts Szene für Sopran K. 528, schließlich folgt die Jupiter-Sinfonie. Stefan Siegert Musikhalle, 20 Uhr