■ Die Landtagswahlen am Sonntag zeigten, daß die Grünen noch nicht den Platz der FDP eingenommen haben
: Der Kampf geht weiter

Die Ausscheidungskämpfe zwischen Grünen und FDP sind nicht zu Ende, wie viele hofften. Zumal nach diesem Wahltag ungewiß ist, ob sie überhaupt zum Ausscheiden der FDP führen werden. Auch wenn es im Kopf weh tut – realistischer ist es, FDP und Grüne zur Grundausstattung des deutschen Parteiensystems zu rechnen, jedenfalls mittelfristig, das heißt über 1989 hinaus.

Die Alternative heißt für die FDP Filiale oder Lager-Korrektiv, für die Grünen Korrektiv oder dritte Kraft. Die FDP hat nicht mehr, die Grünen haben noch nicht die Fähigkeit zur dritten Kraft, wenn diese inhaltlich bestimmt wird.

Zur Hälfte war die FDP auch jetzt ein Leihstimmenunternehmer (bei der Bundestagswahl zu zwei Dritteln). Aus der Sicht der CDU ist sie Filiale: Deren Wähler helfen in „bürgerlicher Solidarität“ dort aus, wo es aus eigener Kraft nicht reicht. Die Stammwählerschaft der FDP liegt bundesweit bei zwei bis drei Prozent. Sie bleibt eine strukturell schwache Partei und in den meisten Landtagen nach wie vor ohne Chance. Sie kann nicht jede Landtags- als Bundestagswahl simulieren. Die FDP ist eine Größe nur dort, wo es um das Kalkül eines bürgerlichen Gesamtinteresses geht.

Die FDP war und ist Mehrheitsbeschafferin, aber sie war früher immer auch inhaltliches Korrektiv – in den bürgerlichen Regierungen eher auf linksliberalen Feldern der Bildungs- und Rechts-, der Deutschland- und Außenpolitik, in der sozialliberalen Phase als bürgerliche Bremserin auf wirtschafts- und finanzpolitischem Gebiet. Welches inhaltliche Profil hat sie heute?

Zum ersten Mal seit Jahrzehnten trat die FDP ohne sichtbaren Linksliberalismus zur Wahl an. In der nach rechts verschobenen Republik reicht die Basis des Rechtsliberalismus aus, um Wahlen zu gewinnen. Die FDP ist Steuer- und Abgabensenkungspartei und gleichzeitig Funktionspartei zum Erhalt des bürgerlichen Mehrheitslagers. Kombiniert führt diese reduktionistische Strategie zum Sieg des instrumentellen Wählers.

Es bleibt dabei: Die FDP ist nicht mehr drittstärkste Partei. Schwerwiegender erscheint, daß sie inhaltlich die Chance verspielt hat, dritte Kraft zu sein. Sie repräsentiert geradezu die Erosion der Mitte als einer verbindenden Kraft. Sie kann nicht mehr das Ganze denken. Sie kann nur noch Wirtschaft denken, oder genauer: den einen Teil davon. Man lese ihr neues Grundsatz(!)programm: Wo es praktisch und folgenreich wird, kann die Partei sich nur noch steuer- und abgabenpolitisch artikulieren. Es ist ein häßlicher Liberalismus, der da übriggeblieben ist.

Die Grünen leben aus eigener Kraft. Die Sozis sind inzwischen die armen Verwandten, die ja wahrlich nichts mehr zu verschenken haben. Inhaltliche Probleme haben die Grünen nicht mit ihrer Rolle als Korrektiv im linken Lager. Aber sie kommen gar nicht dazu, diese auszuüben. Neben der SPD und durch sie ist Rot-Grün der große Verlierer der Wahlen. Bei der SPD hat die bürgerliche Gegenkampagne Wirkung gezeigt. Rot-Grün wird in ihrer Prioritätenskala noch weiter nach unten rutschen.

Die Sozialdemokraten verbauen den Grünen den Weg zu Rot-Grün, an der Wahlurne oder am Verhandlungstisch. Kann sein, Heide Simonis bildet lieber eine Minderheitsregierung, bevor sie es mit Rot-Grün versucht. Oder beginnt sie noch ein sozialdemokratisches Konfliktbündnis, in den Fußstapfen von Clement und Matthiesen? Als nächstes würde 1997 Hamburg folgen, mit Rot- Grün à la Voscherau. Die Grünen müssen doch kleinzukriegen sein.

Wie kann man der SPD noch helfen, Stärke aus eigener Kraft und nicht nur im Kampf gegen die Grünen zu gewinnen? In der Aussiedlerfrage war die SPD nicht besser als die CDU in der Asylfrage. Und es ist ihr wie der CDU 1992 gegangen: Sie setzt das Thema, die Wählerprämie aber gewinnen die, denen man dabei am meisten zutraut – die Rechtsradikalen. Ein Anruf bei der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen hätte Lafontaine über diese Gesetzmäßigkeit informieren können. Aber so sind sie, die Enkel. Sie wissen alles besser.

Die SPD zeigt sich als eine Partei, die die Grünen ökonomisch belehren will und in der Krise haushoch verliert: in Baden-Württemberg für Rot-Grün mit vier, in Kiel gegen Rot-Grün mit sechs Prozent. Der neue Parteivorsitzende verliert wie der vorhergehende. Es liegt offenbar nicht an Personen und nicht an Koalitionen, eher an Strukturen und Strategien. Es gelingt nicht, die Ursachen der Arbeitslosigkeit plausibel der Regierung zuzuschreiben. Möglicherweise löst sich eine spezifische politische Verantwortlichkeit für Arbeitslosigkeit auf, und die Wähler teilen die Ratlosigkeit der Regierenden und Opponierenden. Jedenfalls verliert die ökonomische Krise an politisch-materialistischer Eindeutigkeit. Arbeitslose wählen überproportional SPD, Grüne und „Republikaner“, Arbeiter CDU, SPD und Reps.

So bleibt die Regierung trotz Massenarbeitslosigkeit im Vorteil. Sie sitzt mit Unternehmern und Gewerkschaftern zusammen und redet immerhin für ein Bündnis für Arbeit – im Rücken die Freunde vom Kapital und die Zurechnung von Wirtschaftskompetenz durch die Wähler: Erfolg durch symbolische Aktivitäten.

Die SPD muß selbst um das niedrige Niveau noch kämpfen, auf das sie bei den Bundestagswahlen 1990 und 1994 gesunken war. Sie kann ihre Stammwähler selbst dann nicht mobilisieren, wenn der politische Gegner eine kleine Bundestagswahl ausruft. Und daß sie das „Lager der Ressentiments“ noch einmal gewinnen kann, das sich von ihr löste, wird immer unwahrscheinlicher. Mit dem Thema Aussiedler ging es nicht, und mit einem europolitischen DM-Nationalismus wird es auch nicht gelingen. Für das Eindringen in den Wählerbereich der bürgerlichen Parteien kommt die SPD immer weniger in Frage.

Das könnte zur Aufgabe der Grünen werden. Sie treten nicht einfach – wählernotariell beglaubigt – die „Erbschaft“ der FDP an. Die Grünen als dritte Kraft, das wäre mehr als das Korrektiv einer vom Niedergang bedrohten SPD. Sie wären eine Partei, die sich nicht wie die FDP durch Radikalisierung von Partikularinteressen aus der Verantwortung für die ganze Gesellschaft stiehlt. Sie wären eine dritte Kraft mit der Idee, die Gesellschaft im Gleichgewicht zu halten – gegen die schrecklichen Vereinseitigungen, von denen die besitzegoistische die zur Zeit grassierende und soeben erfolgreiche ist. Joachim Raschke