Ausflüge ins grüne Industrie-Erlebnis

■ Billwerder: Firma darf auf der „Landschaftsachse Bille“ bauen Von Heike Haarhoff

Die Krankheit greift weiträumig um sich: Stadtplanerische Schizophrenie muß auch dem Bezirk Bergedorf diagnostiziert werden, fürchten Mitglieder der Dorfgemeinschaft Billwärder. Am Billwerder Billdeich 603 bzw. 607 wollen die Schiffsgetriebe-Firma Jastram und der Sportverein TSG Bergedorf ihre Betriebe auf teils städtischem Gelände fragwürdig ausbauen.

Bis zu 14 Meter hohe Produk-tionshallen sowie eine Sportanlage mit Leichtathletikhalle, Lehrschwimmbecken und Sportkindergarten sollen schon bald den Erholungs- und Naturraum an der Bille überschatten, gültigem Baurecht zum Trotz und ohne erkennbaren Expansionsbedarf. Dafür aber – mit Segen der investorenhörigen Bauprüfabteilung und der Baukommission – in direkter Nachbarschaft zum uralten Ortskern Billwerder, für den die Stadtentwicklungsbehörde (Steb) jüngst ein theoretisch brillantes Schutz- und Entwicklungskonzept vorlegte. Und ebenso im Widerspruch zu den politischen Zielsetzungen des „Stadtentwicklungskonzepts“ für den Hamburger Süd-Osten, das die „Freiraumversorgung“ an der „Landschaftsachse Bille“ sowie die „Grünverbindung“ ausdrücklich fordert.

„Die Vorbescheidsanträge (auf Befreiung von der Baugrenze) werden wohl positiv beschieden“, sieht Eckhard Kolwa von der Bauprüfabteilung weder „nachbarrechtliche noch öffentliche Belange“ verletzt. Die Firma Jastram plant zusätzliche Hallen, in die sie ihre Produktion verlagern will. Nicht etwa, um viele neue Arbeitsplätze zu schaffen: „In den letzten 13 Jahren“ habe sich, so ein behördeninternes Papier, „ein Erweiterungsbedarf nicht bestätigt“. Die Firma will offenbar bloß die unmodernen, hinteren Hallen vermieten. An wen, steht in den Sternen: Zuletzt war Oberbaudirektor Kossak im Herbst gescheitert, die Lager als Standort für den „Gewerbepark Bergedorf West“ zu gewinnen. Darauf entschied der Bezirk, die benachbarte Erholungsfläche Zirkuswiese für dieses Projekt aus dem Armutsbekämpfungsprogramm zu opfern.

Weshalb die Stadt jetzt ohne Gegenleistung eigene Flächen verschachert, befremdet. Denn mit der Ausweitung wird die Bille-Landschaft zerschnitten; Ausflüge ins Grüne geraten zum hautnahen Industrie-Erlebnis: Bis auf wenige Meter sollen Sport- und Produktionshallen an den Fluß und den Bille-Wanderweg heranreichen. Ein denkmalgeschütztes Bauernhaus am Billwerder Billdeich aus dem Jahr 1719 dürfte neben den Gewerbebetrieben völlig untergehen.

„Der städtische Flächenanteil ist geringfügig“, beschwichtigt Steb-Sprecher Bernd Meyer. Der Zugang zum Fluß bleibe gewahrt. Im übrigen sei die „Landschaftsachse Bille kein Rechtsbegriff“, deren Schutz sich einklagen ließe. Die Überschreitung der Baugrenze von mindestens sechs Metern hält Heike Sudmann, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der GAL, dagegen für „ziemlich heftig“.

Die Firma Jastram, die angesichts des städtischen Polit-Bewußtseinsverlusts jubilieren dürfte, war gestern zu keiner Stellungnahme zu bewegen. Der Geschäftsführer sei im Ausland, hieß es.