Eintrittskarten gegen Kohlen

■ Boleslaw Barlog, ein Gründervater des Westberliner Nachkriegstheaters, wird 90

Eine „Stunde Null“ gab es in der Berliner Nachkriegskultur weder im Osten noch im Westen. Keineswegs wurden die Kulturinstitutionen nur auf den Trümmern des Gewesenen wieder völlig neu aufgebaut. Dennoch gab es Anlaß genug zu einer Art kultureller Goldgräberstimmung, als sich alle langsam wieder berappelten und begannen, die Demokratie für sich in Anspruch zu nehmen.

Die verschiedensten Berichte und Erinnerungen an das Jahr 1945 vermitteln das Bild einer summenden und in allen Kellern deklamierenden und musizierenden Berlinerschaft. Mit der Weltliteratur in der Hand in der Schlange für die Lebensmittelkarten, mit Decken und Kerzen bewehrt zu Fuß zum allerersten Theaterbesuch.

Und mittendrin Boleslaw Barlog. Ein ehemaliger Regieassistent an der Volksbühne, ab 1937 dann Regieassistent beim Film. Schon immer wollte der 1906 geborene Barlog selbst Theater machen, doch niemand hatte ihn gelassen. 1945 aber war seine Stunde gekommen: Kurzfristig erhielt er die Lizenz, die Steglitzer Wrangel- Lichtspiele als Theater zu nutzen.

Mit Hilfe seiner Frau Herta baute er das Schloßparktheater auf, das mit Inszenierungen wie „Drei Mann auf einem Pferd“ mit Hildegard Knef bald zu einer der beliebtesten Bühnen Berlins wurde. Durch die Hungerzeit der Blockade und später der Währungsreform lotste er das Haus, wobei Eintrittskarten notfalls gegen Kohlen oder Baumaterialien abgegeben wurden. Als Theaterleiter war Barlog enorm erfolgreich. 1951 bekam er das neu eröffnete Schiller Theater hinzu, 1959 gründete er die Werkstatt.

Barlog setzte die Stücke Samuel Becketts in Berlin durch. Fritz Kortner inszenierte bei ihm, Hans Lietzau, Konrad Swinarski, Ernst Schröder, Peter Zadek. Bis 1972 blieb Barlog im Amt und führte häufig auch selbst Regie. Aber er kokettierte damit, der „schlechteste Regisseur an seinem Theater“ sein zu wollen. Der Intendant als Hausvater. Und dabei streitbar und witzig. Nicht selten legte er sich mit unliebsamen Kritikern öffentlich an.

Die Schließung der Staatlichen Bühnen Westberlins 1993 traf Boleslaw Barlog verständlicherweise besonders hart. Er schrieb einen flehentlichen Brief an die Abgeordneten und verschickte Postkarten mit der Aufschrift „Unsere Theater stehen geschlossen hinter uns.“

Boleslaw Barlog lebt mit seiner Frau auf Sylt und in seinem Haus in Lichterfelde. Heute wird er 90 Jahre alt. Petra Kohse