Sparschweine mit und ohne Stahlhelm

Berlins Finanzsenatorin hat ein einfaches Geheimnis für ihren Erfolg: Eine Handvoll Männer und Frauen im Hintergrund bestimmen den Sparkurs der Hauptstadt – gegen den Willen des Regierungschefs  ■ Von Dirk Wildt

Der Bauch des Sparschweins liegt am Ufer der Spree. Die Berliner Finanzverwaltung ist in die Regierungsräume der ehemaligen DDR in der Klosterstraße umgezogen. Im Gebäude wird seit einem Jahr renoviert. Gegenüber dem Paternoster im ersten Stock sitzt die Verwaltungsbeamtin Barbro Dreher (38) hinter ihrem neuen Schreibtisch. Ihr Arbeitstag ist bis zu 22 Stunden lang, wenn sie im Verhandlungsmarathon mit dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) im Senatsgästehaus am Grunewald über das Sparprogramm streitet. In einer Woche machte sie 76 Überstunden. In den letzten Wochen hat sie 48 Akten angelegt.

Die langen Nächte sind ihr nicht anzusehen. Das, sagt sie, „liegt nur am Make-up“. Dieses allerdings ist sehr dezent. Barbro Dreher ist die Frau im Hintergrund des neuen Berliner Politstars, der aus Hessen importierten Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing.

Nur eine Handvoll Leute entscheiden in deren Schatten über den maroden Haushalt der Hauptstadt. Die Verwaltungsbeamtin Dreher beschäftigt sich seit 15 Jahren mit den Berliner Finanzen. Den Haushaltsplan, in dem die Beträge auf 1.800 Seiten so lange aneinandergereiht werden, bis sie eine Summe von 44 Milliarden Mark ergeben, kennt die Frau auswendig. Ohne das Wissen ihrer persönlichen Referentin wäre Fugmann-Heesing, die wegen ihres konsequenten Sparkurses weit über die Landesgrenzen hinaus medial gefeiert wird, längst verzweifelt: an der Selbstbedienungsmentalität hochsubventionierter Intendanten, an den Protesten von UnipräsidentInnen und Sozialvereinen. – Ab heute ist Schluß mit dem staatlichen Geldregen. Am späten Abend wird das Abgeordnetenhaus beschließen, innerhalb von vier Jahren 32 Milliarden Mark einzusparen. Noch dieses Jahr sollen 5,3 Milliarden Mark gestrichen werden.

Die Drähte hinter den Kulissen der Spar-Show ziehen nur wenige. Fugmann-Heesing hat außer Referentin Dreher in der Verwaltung auch die nötigen Verbündeten im Senat und Parlament – parteiübergreifend.

Dazu gehören CDU-Innensenator Jörg Schönbohm, der SPD- Fraktionschef Klaus Böger sowie der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Klaus Franke (CDU), und sein Stellvertreter Klaus Wowereit (SPD). Die Fünferbande ist so mächtig, daß selbst der Regierende Bürgermeister die Dynamik der von ihm mit in Gang gesetzten „Haushaltskonsolidierung“ nicht mehr bremsen kann.

Der 58jährige Schönbohm, Ex- General und Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, nähert sich Berlins dramatischer Haushaltslage unaufhaltsam wie ein Panzer in unwegbarem Gelände. Finanzlöcher scheinen für den Sparsoldaten bloß eine zivile Art von Bombentrichter zu sein. Innensenator Schönbohm schließt gar nichts aus – weder, daß die Reiterstaffel weggespart wird, noch daß Polizisten mehr arbeiten müssen.

Als er bei einer Senatssitzung im Roten Rathaus am Alexanderplatz die „tabulose“ Prüfung bei der Polizei ankündigte, drohte der Regierende Diepgen: „Vorsicht.“ Doch Schönbohm, der schon die Nationale Volksarmee in die Bundeswehr entsorgte, läßt sich auch von seinem Parteichef nicht beeindrucken: „Ich prüfe trotzdem.“

Der Mann, den die Bündnisgrünen bei seiner Vereidigung stilecht mit Stahlhelmen begrüßten, ist für Fugmann-Heesing als Verbündeter deshalb unersetzlich, weil er der Dienstherr von 173.000 Beschäftigten im öffentlichen Dienst ist. Ohne seine Entschlossenheit aber könnte der Senat nicht durchhalten, bis 1999 jede fünfte Stelle zu streichen.

Fugmann-Heesings zweiter Mann im Senat ist einer, der da gar nicht hin gehört: SPD-Fraktionschef Klaus Böger. Er holte die ehemalige Stadtkämmerin von Herford nach Berlin. Seit Beginn der neuen Legislaturperiode am 25. Januar sitzt er immer mit am Regierungstisch. Er schwor die Sozialdemokraten auf Sparen ein, obwohl die Sozis viel lieber für das Ausgeben von Geld zu haben sind. Obwohl die SPD mit ihrer Senatorin bisher nur gute Schlagzeilen zu verbuchen hat, konnte Böger die Angst vor diesem Erfolg noch immer nicht bei jedem ausräumen. Sein Sprecher Peter Stadtmüller befürchtet, daß schon bald auf einem Grabstein stehen könnte: „Hier ruht die SPD. Sie sanierte erfolgreich den Haushalt.“

Böger hat nicht nur in der eigenen Fraktion einen schweren Stand. Ihm fehlt, im Gegensatz zu Schönbohm, der Stahlhelm im Kampf um das Sparschwein. Deshalb tut er sich manchmal schwer, sich gegenüber den derzeitigen politischen Partnern aus der CDU und dem Regierenden Bürgermeister durchzusetzen. Der gebürtige Hesse ist zwar ein guter Stratege und pointierter Redner, doch sei er, sagen auch Parteifreunde, in vorauseilendem Gehorsam zu kompromißbereit.

Doch Dreher, Schönbohm und Böger hätten nicht genügt, um diesen Sparkurs im Parlament mehrheitsfähig zu machen. Dort halten auch Klaus Franke (CDU) und Klaus Wowereit (SPD) der Finanzsenatorin den Rücken frei. Wowereit sorgt dafür, daß seine Fraktion hinter Fugmann-Heesing steht. Er blockt alle Änderungsanträge von SPD-Abgeordneten ab, die nicht in das Konzept der Senatorin passen. Wie Fugmann-Heesing und Schönbohm ist auch Wowereit ein Neuer. Der Berliner sitzt zum ersten Mal im Parlament. Klaus Franke (72) gilt aufgrund seines Lebensalters als jenseits von Gut und Böse. Pfusch, auch wenn er vom Regierungschef kommt, läßt er nicht durchgehen. Wenn Diepgen uneinsichtig bleibt, droht Franke, der als Fregattenkapitän bei der Marine diente, mit seiner Macht: „Dann lasse ich die Vorlage im Parlament scheitern.“

Wenn heute das Abgeordnetenhaus das größten Sparpaket in Berlins Nachkriegsgeschichte eingepackt hat, können sich die Finanzsenatorin und ihre Fünferbande nur kurz erholen. Für Sommer hat Fugmann-Heesing den nächsten Kassensturz angekündigt, und das bedeutet für die Beteiligten erneut Nächte, in denen sie nur zwei Stunden schlafen werden. Denn erfahrungsgemäß halten sich die Berliner Beamten nicht an Sparbeschlüsse des Parlaments.