■ Die Evolution denkt, und unsere Hirne werden zu Akopatz
: Das Experiment sind wir

Langsam rückt der Sonntag näher. Unseren zitternden Herzen kann bald Entwarnung gegeben werden, weil es seit Montag keine atemverschlagende Katastrophe in England gegeben hat und der Wochenrhythmus des britischen Schreckens vorerst unterbrochen scheint. Zuerst das Massaker in Dunblane, dann die wahrscheinliche Entdeckung des „missing link“ zwischen Rinderseuche und Creutzfeld-Jakob-Syndrom und als Hintergrund der Dauereinbruch des britischen Königshauses, die Auflösung der Windsors in Milliarden von Bildschirmpixel, voll Tränen und abstehenden Ohren.

Schon sieht eine englische Boulevardzeitung nur noch „links“ und fragt ganz offen, ob nicht vielleicht Sarah Fergusson auch die „mad- cow-desease“ habe; und wir fragen uns darum weiter, ob eventuell auch der Dunblane-Killer mehr war als „the devil“, Thomas Hamilton mehr als diese „two main interests: boys and guns“ (Guardian) hatte, nämlich „meat-interests“, also Fleisch gegessen hat, Rindfleisch, hier vielleicht sogar gerne das Hirn („Aber bitte roh, Frau Metzgerin“) oder das Rückenmark aus dem Knochen gelöffelt. Bei der Devil- oder Mad-cow- Frage sieht man schon, daß die englischen Ereignisse mehr verändern werden als unsere Konsumgewohnheiten, nämlich auch unser Weltbild arg in Frage stellen. Sehr richtig fragt die FAZ vom 27. März 1996, ob eine Massenschlachtung von britischen Rindern moralisch vertretbar sei, also mit den abendländischen Werten übereinstimme bzw. eventuell in Übereinstimmung gebracht werden könnte, und kommt zu einem negativen Ergebnis. „Man wundert sich“, heißt es in dem Artikel, „daß unsere ökologisch hochsensibilierte Gesellschaft, die den Robbenmord geächtet und die Trägerinnen von Pelzmänteln zu Aussätzigen gemacht hat, durchaus kein Herz für Rinder hat.“

In diesem Artikel wird mit Platon und der Bibel und Descartes argumentiert – doch einer wird vergessen, und dieser eine ist: Rudolf Steiner. Steiner, Begründer der Anthroposophie, schrieb bereits vor vielen, längst ausgestorbenen Jahren, daß es nicht richtig sei, an Kühe Fleisch zu verfüttern, weil Kühe keine Fleischesser seien, sondern Vegetarier, also gar nicht auf Fleisch zugelassen, und daß das alles noch ein böses Ende nehme. Nun, jetzt haben wir den – Vorsicht: Kalauer – Fleischsalat, auch wenn solche Von-Natur-aus-Argumente doch eher einen fiesen Ruf haben, weil sie nach „mische nie die Rassen!“ klingen. Andererseits ist ja nicht abzuweisen, daß die Evolution sich was dabei gedacht hat, als sie Schaf und Rind zu Pflanzenfressern gemacht und dadurch verhindert hat, daß Schaf und Rind sich gegenseitig anknabbern, um mad cows, ill people zu machen. Ja, die Evolution denkt. Aber wer denkt, wenn sie denkt? Der Mensch? Der stammt vom Affen ab, wobei der Affe zwar kein Vegetarier ist („No, Sir“, sagte der Gorilla), aber eben auch kein Raubtier wie der Mensch. Und der Mensch wiederum ist doch erst ein Raubtier, seit er kein Affe mehr ist, also denken kann, das heißt: Evolution machen. Spätestens jetzt muß einen heiliger Schauer überfallen, und man begreift erst die Worte, die eine britische Expertin gesagt hat auf die Frage, ob es BSE-Affen(!)experimente gäbe: „There's no point doing primate experiments now. It's us. We are the experiment“ (Dr. Anne Maddocks, Independent, 23.3.96).

Wir sind das Experiment! Ein Satz, der wie ein Schlachtruf klingen könnte, wenn man nicht wüßte, wozu die BSE-Versuchsanordnung schlecht bzw. dann doch wieder gut sein soll: Vielleicht also ein weiterer Sprung in der Evolution; nur fallen uns nicht die Haare aus, sondern unsere Hirne werde zu Akopatz, und dann geht es ab in den Weltraum.

Oder sollen wir Fisch essen? Wie die füllige Frau neulich bei Karstadt, die auf einen großen Karpfen im Aquarium zeigte. Die nicht weniger dralle Verkäuferin holte den Fisch heraus, um ihn der Kundin mit lüstern gesprochenen Worten zu präsentieren: „Ist das nicht ein strammer Bursche?“ Und die Kundin gurrte zurück: „O ja, ein strammer Bursche!“ Worauf die Verkäuferin ihren gut bepackten Arm hob, zielte und kräftig mit einer Keule zuschlug. Der Karpfen zuckte ein letztes Mal. Das war es gewesen für ihn. Was essen Fische? Volker Heise