piwik no script img

Kreuzberg ist tot, es lebe Prenzlauer Berg

■ Der Touristenstrom rund um die Trampelpfade Kollwitzplatz und Wasserturm ist für Gastronomen der wichtigste Grund für die Investition in den „Standort Prenzlauer Berg“

Standort Prenzlauer Berg: Weiße Tischdecken, dezente Atmosphäre und eine täglich wechselnde Speisekarte. Im „Rosenbaum“ an der Oderberger, Ecke Choriner Straße, setzt man auf Qualität. Und die hat ihren Preis: Für 31,50 Mark gibt es Lachs und Seeteufelmedaillons in Basilikum, die gebratenen Jakobsmuscheln in Safransoße kosten 38,50 Mark, das Menü um die 80 Mark. Teuer findet das Ernst Baumeister, der das Rosenbaum zusammen mit seiner Frau Anja betreibt, allerdings nicht: „Im Preis-Leistungs-Verhältnis“, freut er sich, „liegen wir an der unteren Grenze, ein Yuppielokal sind wir nicht.“

„Was uns mit unseren Gästen verbindet“, sagt Ernst Baumeister, „ist die Freude an einem guten Essen.“ Zwar versichert er, daß es auch aus dem Kiez schon Stammgäste im Rosenbaum gebe, doch in den umliegenden Kneipen und Cafés betrachtet man das Edelrestaurant als Fremdkörper: „Die hätten besser in Charlottenburg aufmachen sollen“, sagt ein Mieter in der Kastanienallee, „hier wirken die wie ein Implantat aus einer anderen Welt.“ In der Tat sind die Gäste des Rosenbaum mit der näheren Umgebung so vertraut, daß sie auf der Suche nach einem Parkplatz auch schon mal als Geisterfahrer in die Einbahnstraße Choriner Straße fahren.

Während in Kreuzberg auf „Schicki-Micki-Lokale“ Anschläge verübt werden, weil sie Gerichte bis zu 25 Mark anbieten, eröffnen in Prenzlauer Berg Restaurants, bei denen die Speisekarte bei diesem Betrag erst so richtig beginnt. Was macht den Standort Prenzlauer Berg so attraktiv? Für die Baumeisters hat das einen einfachen Grund: „Es gibt hier einfach nicht so viele Restaurants, in denen man gut essen kann“, sagt Anja Baumeister, und ihr Mann fügt hinzu: „Warum sollen nicht auch hier die Leute ein gutes Essen verdient haben? Andere fahren ein teures Auto. Beides ist eben eine Liebhaberei.“

Über 15 Prozent Umsatzeinbußen beklagten die 7.000 Berliner Gastronomen letztes Jahr. Die Baisse am Tresen betraf sowohl die Neuköllner Eckstampe als auch das Schöneberger Nobelrestaurant. Doch in Prenzlauer Berg scheint man von einer Rezession nichts zu spüren. Konkurrenz belebt das Geschäft und die Prenzelberger Nächte haben den Kreuzbergern schon längst den Rang abgelaufen. Der Standort Prenzlauer Berg ist noch immer eine Goldgrube.

Detlev Obermüller hat sich ebenfalls für den Prenzlauer Berg entschieden. Seit einiger Zeit betreibt er das Kneipenrestaurant Gugelhof am Kollwitzplatz. Sein Markenzeichen: Spezialitäten aus dem Elsässer Dreiländereck. Für Obermüller, der mit dem Milagro auch eine Kneipe in der Kreuzberger Bergmannstraße besitzt, ist der Prenzlauer Berg eindeutig der bessere Standort. „In Kreuzberg“, weiß er, „schlägt die Rezession auch auf die Kneipen in 61 durch.“ Da läßt man es sich am Kollwitzplatz schon gerne 40 Mark den Quadratmeter und regelmäßig eingeworfene Fensterscheiben kosten, wenn man nur mittenmang an jene Tröge ziehen kann, die den Touristen die Prenzelberger Welt bedeuten. Ein anderer Standort als der Kollwitzplatz wäre für den Saarländer auch gar nicht in Frage gekommen. „Es ist immer noch schick, hierherzukommen, freut er sich, „den Kollwitzplatz kennt schließlich jeder.“ Daß Obermüller noch nicht einmal die Straßen in der näheren Umgebung kennt, spielt da keine Rolle.

Während der Kollwitzplatz als Kulisse für allerlei postmoderne Sehnsüchteleien längst in der Hand der gastronomischen Glücksritter ist, geht in den übrigen Stadteilen des Bezirks das Leben beschaulich weiter: Rund um den Teutoburger Platz tummeln sich spielende Kinder statt Touristen, nördlich des S-Bahngrabens herrscht gleichsam Weddinger Atmosphäre und vom Bötzowviertel hat in Westberlin noch nie einer gehört. Die Touristen bleiben eben unter sich. Die Einheimischen mittlerweile auch. Uwe Rada

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen