Tanzen nach Tuzla

■ Pavarotti kam nur bis Modena - jetzt spielt die Berliner Initiative "Bands für Bosnien" in der UN-Sicherheitszone

Die Busse sind voll, die Gitarren sicher verstaut und die Organisatoren fertig mit den Nerven, aber guten Mutes. Seit Samstag sind rund 50 Rockmusiker aus dem Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg auf dem Weg ins ehemaliges Jugoslawien. Acht Tage soll die Tour dauern, am Ostermontag will man zurück sein. Geplant sind Konzerte im kroatischen Pula, in Tuzla sowie beiden Teilen Mostars.

„Berliner Bands für Bosnien“ heißt das Projekt, das auf die Initiative eines 24jährigen Journalisten zurückgeht. Nach dem Dayton-Abkommen sei der Krieg „nur zum Stillstand gekommen“, findet Frank Hofmann, jetzt komme es darauf an, „mit den Mitteln der Kultur ein Stück Normalität zurückzubringen“. Bei abgeschaltetem Mikrophon hat er es auch eine Nummer kleiner. Der Grundgedanke der Tour, wie er sich beim Bier darstellt: Nichts verbindet mehr als eine gute Party – Völkerverständigung im Basismedium Rock 'n' Roll.

Dunckerstraße 14/15, Prenzlauer Berg wie im Klischee: der Putz bröckelt, die Basis werkelt. Hinter einem Schaufenster wird ein Theaterstück geprobt, im Laden daneben trifft sich gerade eine Nachbarschaftsini. Im Hinterhaus des ehemals besetzten Komplexes liegt das Büro der „Bands für Bosnien“, das sich beim Betreten als WG-Küche entpuppt: Beatles- Musik aus den Boxen, Anarchie der Brotkrümel, Willy-Brandt-Poster über ungespülten Tassen – ein Seyfried-Traum aus Siebziger-Zeiten, wäre da nicht der Computer. Mit Internet-Anschluß.

Nicht ohne Stolz läßt Hofmann den Curser über E-Mail-Adressen laufen: Mostar Friedensprojekt e.V. Berlin-Brandenburg, „Mladi Most“, die Unterstützerorganisation von Aktion Sühnezeichen, das selbstverwaltete Jugendprojekt Fips e.V. aus Berlin-Friedrichshain, aber auch viele Adressen aus Ex-Jugoslawien, das Hofmann als Journalist mehrfach bereist hat. ARKzin, die Zeitung der Anti- Kriegskampagne Kroatien, erscheint auf dem Menu – „die kleben da unten schon Plakate, verteilen Handzettel und machen tüchtig Wirbel für die Tour“ –, „Vive Žene“, ein Therapiezentrum für traumatisierte Frauen und Kinder, sowie die Anschriften von Privatpersonen und anderen Unterstützern, die man bei den Konzerten wieder treffen wird. Der direkte Draht zu Basis- und Graswurzelorganisationen sei eben „weitaus effektiver als administrative Kontakte“, meint Hofmann – auch wenn an der Bürokratie kein Weg vorbeiführt.

Vor allem die Finanzierung war und ist wackelig. Der Berliner Senat hat abgewunken, ebenso der europäische „Fonds für kulturelle Entwicklung in bosnischen Städten“. Bündnis 90/Grüne hielten sich mit der Geldervergabe zurück, und der Appell an Rock-Soli von Erfolgsentertainern war vergebens: Udo Lindenberg, die Toten Hosen und die Fantastischen Vier reagierten nicht. Nur der alternative Förderfonds Netzwerk e.V., die Werkschule Berlin und die Jugend- und Familienstiftung des Landes Berlin bewilligten Beträge bis zu 8.000 Mark. Darüber hinaus griff man zur Selbsthilfe: Ein Fundraising- Konzert im Berliner Milchhof, zugleich Generalprobe für die beteiligten Bands, riß die Organisatoren aus gröbsten Geldnöten heraus und machte den Start möglich.

Das Line-up der Bands erfuhr bis in die letzten Tage Korrekturen, stammt aber im Kern aus dem Dunckerstraßen-Umfeld. Raggae Tacke spielen Raggaemuffin, Time Tough Rocksteady im Stil der Sechziger, eine Combo namens Auge mit Hering nach eigenen Angaben „Seemannslieder mit Herz“. C.W. Moss verstehen sich als „multikonzeptionell avant la garde Rockband“ und sind von ihrer Anlage her tatsächlich ein Stück praktizierter Internationalismus: Die Hälfte der Mitglieder stammt aus Rußland, die andere sind Deutsche – Tourerfahrungen im zerfallenen Ostblock konnten bereits bei sieben Konzerten in St. Petersburg und Moskau gesammelt werden. Bert'z Rache schließlich machen „Sesamstraßen- Rock“ mit rosa Perücken und deutschen Texten. Es rappelt in der Kiste – ob das die Art von Musik ist, die Jugendliche nach einem Bürgerkrieg unmittelbar anspricht?

Bei „Bands für Bosnien“ ist man da zuversichtlich, setzt auf die zivilisatorische Kraft der Weltsprache Rock – mit allem, was dazugehört. Anders als Luciano Pavarotti, der mit Bono, Eno und den anderen in seiner Heimatstadt Modena ein „Concert for the Children of Bosnia“ gegeben hat, soll sich hier Dauerhaftes entwickeln: „Sieh es mal so“, erklärt Hofmann, „wenn 40, 50 Musiker aus Berlin runterfahren und dort auf Leute treffen, die auch Musik machen, dann werden persönliche Kontakte stattfinden, die dann zu Freundschaften führen. Die Bands von dort können dann vielleicht irgendwann in Berlin spielen...“

Ganz so weit ist es noch nicht, und in welcher Verfassung die bosnische Rockszene anzutreffen sein wird, scheint den wenigsten der Mitreisenden so richtig transparent zu sein. Werden die einheimischen Bands freudig mitrocken? Steht man dort mehr auf Heavy Metal? Wer macht die Conférence – und in welcher Sprache? Auch die technischen Umstände werden vor Ort noch einiges am Improvisation abverlangen. Die EU-Administration in Mostar mit dem scheidenden Hans Koschnick an der Spitze hat zwar „logistische Unterstützung“ zugesagt und Unterkünfte bereitgestellt, doch ob es tatsächlich möglich sein wird, sowohl im muslimischen als auch im kroatischen Teil zu spielen, ist ungeklärt. Notfalls müsse man sich mit einem Open-air-Gig bescheiden, verlautet der „Head Of Department“ Oswald Schröder in einem Fax aus Mostar. Nicht nur gute Nachrichten, auch aus Tuzla: Die lokalen Veranstalter wissen das uneigennützige Engagement der Berliner nicht zu schätzen und verlangen plötzlich Unsummen für die Bühne des dortigen Sportzentrums...

„Der Krieg ist längst nicht vorbei“, weiß auch Hofmann, „und hinterher bricht erst mal der wilde Kapitalismus aus.“ Doch wie immer die Erfahrungen mit bosnischen Rock 'n' RollerInnen sich im Nachhinein darstellen werden: Man selbst wird dagewesen sein – Pavarotti kam nur bis Modena. Andreas Becker/Thomas Groß