„Soll Frau Simonis doch Pickel kriegen!“

Bei der Ministerpräsidentin verursacht sie Hautunreinheiten, bei der eigenen Partei Kopfweh. Irene Fröhlich, grüne Spitzenfrau in Schleswig-Holstein, verhandelt mit der SPD über eine Koalition  ■ Ein Portrait von Bascha Mika

Frösche sind eine große Familie: Rana esculenta (Wasserfrosch), Rana temporaria (Grasfrosch), Rana dalmatina (Springfrosch) oder auch Rana viridis (Grünfrosch). Irene Fröhlich gehört zu letzterer Spezies – das zumindest ergab die Amphibienforschung der schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD). Beim Wahlkampf übte sich die Landesmutter im Tiervergleich. Sie klassifizierte die Bündnisgrünen als Frösche – mit deutlichen Tendenzen zur Kröte bei deren Spitzenkandidatin Irene Fröhlich.

Dabei sieht Fröhlich gar nicht so aus. Weder Warzen noch eine zweilappige, klebrige Zunge, statt dessen eine grauhaarige Fünfzigerin mit breitem Mund und ebenso breitem Lachen, die von sich sagt: „Ich bin halt manchmal ein bißchen locker und direkt und nicht besonders taktisch.“

Alles Eigenschaften, die die Frau im Moment nicht brauchen kann. „Ein grüner Frosch, der direkt von der Straße auf den Kabinettstisch hüpft, übernimmt sich“, hatte Simonis noch kürzlich geunkt. Doch die SPD hat die absolute Mehrheit verloren, die Grünen sind zum ersten Mal in den schleswig-holsteinischen Landtag gewählt und sitzten vielleicht schon bald in der Regierung. Ende vergangener Woche beschlossen die Roten Koalitionsverhandlungen mit den Grünen.

Taktische Fehler, statt die Klappe zu halten

Fröhlich, inzwischen Vorsitzende ihrer Fraktion, sitzt in der Verhandlungskommission. Aber ihr Wahlkampfmotto „Frisch, Fröhlich, feministisch“ kann sie bei diesen Gesprächen vergessen. Die werden nicht lustig. Bereits am Wahlabend unterlief den Grünen der erste taktische Fehler. Statt sich lauthals zu freuen, aber politisch die Klappe zu halten, fingen sie an, Ministerien zuzuschneiden und zu verteilen. Fröhlich voran die Spitzenfrau. Die SPD schäumte, die Landespresse höhnte, die Basis pfiff sie zurück. Doch Fröhlich verkündet fröhlich: „Man kann ja nicht auf alle Befindlichkeiten Rücksicht nehmen.“

Vielleicht weiß sie noch nicht, daß es in der Politik manchmal zugeht wie im Irrenhaus, sonst wäre sie sicher sensibler. Der Umgang mit psychisch Kranken ist Fröhlichs Metier. Als Erzieherin und Pädagogin hat sie mit ihnen gearbeitet. Ihr politischer Werdegang ist der einer typischen Bewegungsgrünen: zuerst Anti-Atomkraft- und Fraueninitiativen, 1978 Mitgründerin der Grünen Liste Nordfriesland, in den 90er Jahren Sprecherin des Grünen-Landesverbandes und Husumer Kreisrätin.

Einen ausgemachten Arbeitsschwerpunkt hat Fröhlich nicht, sie versteht sich als „politische Generalistin“. Und damit Heide Simonis mit ihren Fröschen nicht allein dasteht, leistet sie sich auch einen Tiervergleich: „In der Biologie ist der Spatz der Generalist. Also das heißt: So'n Lebewesen, das sich überall zurechtfindet, auch unglaublich gut angepaßt ist an seine Umgebung, gute Überlebenstechniken hat. Politisch gesprochen heißt es, daß ich ganz großen Spaß dran habe, quer zu denken.“

Eine gut angepaßte Querdenkerin? Wohl eher fröhliche Ungereimtheit. Davon gibt es noch mehr. „Ich hab sehr viel gegen irrationale Politik“, sagt die Frau. Um dann einige Minuten später zu bekennen, daß „Spiritualität viel mit meiner Politik zu tun hat“ und daß sie einen ausgeprägten Hang zur Esoterik habe.

Wen wundert's, daß sich an ihr die Geister scheiden. „Einige finden sie völlig daneben und nicht besonders kompetent“, sagt der grüne Bundestagsabgeordnete Rainder Steenblock, der in Kiel für einen Ministerposten im Gespräch ist. Und: „Andere fühlen sich durch sie sehr repräsentiert. Sie hat ein gutes Gespür dafür, was in dieser Partei so los ist“. Bisher wurde Fröhlich gebraucht. Was noch nicht heißt, daß sie auch künftig die wichtige Rolle spielen wird, die sie gern hätte.

Zur Spitzenfrau für die Landtagswahl wurde die untaktische Kandidatin durch reine Taktik. Bei den schleswig-holsteinischen Grünen sitzen erfolgreiche KommunalpolitikerInnen, aber der Landesverband glänzt nicht gerade durch Brillanz und personelle Kontinuität. Als ein neuer Anlauf gemacht wurde, das letzte westliche Landesparlament zu erobern, setzten die Realos auf Fröhlich. Weil sie bei der Landtagswahl 1992 schon einmal auf Listenplatz 1 gestanden hatte, war sie die einzige, die ein bißchen bekannter und als Presseobjekt begehrt war. Außerdem fühlte sie sich bereits als Prominente. Auch ein Weg, es zu werden. Fröhlich: „Es trifft mich immer ganz besonders, wenn es über die schleswig-holsteinischen Grünen heißt, sie hätten keine Persönlichkeiten zu bieten.“

Bereits bei ihrer ersten Kandidatur vor vier Jahren war Fröhlich umstritten. Zu naiv, zu unpolitisch sei sie. Trotzdem wurde sie wiedergewählt – wenn auch nur mit zwei Stimmen Mehrheit. Auch die Bonner Obergrünen waren angesichts Frau Fröhlichs eher erschreckt als beglückt. Dieses alternative Flair!

Früher, sagt Fröhlich, sei sie als „Fundi-Frau gelaufen“. Doch seit Ende der 80er Jahre fährt der Landesverband einen klaren Realo- Kurs, und Fröhlich fährt mit. „Wir wollen dieses System nicht mehr aus den Angeln heben“, propagiert sie, „wir wollen mitmachen.“

Unter diesem Motto geht's jetzt in die Koalitionsverhandlungen. Auf der einen Seite die SPD, auf der anderen die grüne Basis. Dazwischen hockt die grüne Verhandlungskommission, die den Brocken für beide schmackhaft machen muß. „Übern Tisch gezogen zu werden“, gesteht Fröhlich, „diese Gefahr besteht.“ Weswegen zwei Bundesgrüne in der Kommission sitzen und auch als MinisterInnen gehandelt werden.

Kein Grüner spricht von „Knackpunkten“ oder „Glaubensbekenntnissen“, sondern alle von einer „ökologischen Wende“ und einem „grünen Profil“ in der Landespolitik. Doch im Wahlkampf hieß es unter anderem: Mehr Geld für Arbeitsbeschaffungsprogramme, für das Landesnaturschutzgesetz, den ökologischen Landbau und neue Planstellen an Schulen und Hochschulen – selbst wenn es die Neuverschuldung hochtreibt!

Darauf reagiert Simonis allergisch. Ihr neuralgischer Punkt bei den Verhandlungen heißt: Finanzen. Schließlich hält sie sich was auf ihren Ruf als Sparkommissarin zugute. Bei der Steuerschätzung im Mai droht dem Landeshaushalt ein Loch um die 200 Millionen Mark. Auf einiges wird sich die SPD mit den Grünen einlassen – solange es nichts kostet. In Rage gerät die Ministerpräsidentin bei dem Gedanken, die Grünen könnten sich mit wunderbar vernünftigen, aber teuren Forderungen als die Gutmenschen stilisieren, während die SPD den Buhmann abgibt.

Lieber generalistischer Spatz als grüne Kröte

Vor der Verhandlungskommission braucht sich Simonis wenig zu fürchten. Die meisten Mitglieder sind pragmatisch bis zum Abwinken. So wie der Machtpolitiker Rainder Steenblock: „Neuverschuldung ist mit grünem Gedankengut eigentlich nicht vereinbar“, sinniert er, „wir haben keine finanziellen Wohltaten zu verteilen.“ Ähnlich tönt es aus Fröhlichs Munde. Im grünen Wahlkampf war Bildung ein Schwerpunkt, doch kaum war die Wahl gewonnen, erklärte Fröhlich, es gebe keine Ambitionen auf das Bildungsressort, weil da wegen der knappen Ressourcen kein grünes Profil zu gewinnen sei. Dann die Autobahn20 – das umstrittenste Projekt. Die Grünen haben versprochen, sie zu verhindern. Der Lübecker Kreisverband hat bereits letzte Woche angekündigt, lieber solle die Koalition platzen, als daß die Autobahn unter grüner Mitregierung gebaut werde. Doch die SPD wird vom begonnenen Bau keinen Millimeter abrücken.

In diesem Dilemma strahlt Fröhlich bewährt optimistisch, nur ihre braunen Knopfaugen leuchten hart. Nun hat sie so einen schönen Wahlsieg errungen, den wird sie sich doch nicht kaputtmachen lassen! „Es ist klar, daß die SPD bei der A20 nicht den Ausstieg verkünden wird. Aber es gib eine ganze Menge Schritte, die Autobahn zu stoppen.“ Dann schwärmt sie, daß mit dem Geld für die A20 ganz Schleswig-Holstein zu entschulden sei. Hat sie mal gehört, daß die Autobahn vom Bund und nicht vom Land finanziert wird?

Dieser kleine Haken stört sie offenbar nicht. „Ich möchte Politik machen, wie ich bin“, sagt Fröhlich, „und mich nicht verbiegen.“ Und halb überheblich, halb treuherzig fügt sie hinzu, sie wolle so eine Art „politisches Gegenmodell“ sein.

Es muß dieses Image der Ganzheitlichkeit sein, was Heide Simonis zur Weißglut bringt. Die Ministerpräsidentin kann die Frau Fröhlich einfach nicht ab. Hier die Pragmatikerin, da die Traumtänzerin. Dabei gibt es zwischen beiden Frauen Ähnlichkeiten. Nicht nur die Vorliebe für schreckliche Hüte und fürs Stricken. Beide reden rasch, viel und manchmal schneller, als sie denken können. Beide verkaufen sich ihrem Publikum stets mediengerecht munter, leutselig und volksnah. Vielleicht konnte sich Simonis deshalb die gemeine Bemerkung nicht verkneifen, daß Fröhlich ihr Pickel verursache. Fröhlich, bewährt fröhlich: „Soll Frau Simonis doch Pickel kriegen.“