Nie wieder Kaninchen

■ Witus Witt bezaubert mal wieder das Bremer Publikum und erklärt, warum uns die ältesten Zaubertricks immer noch ein „Boh!“ entlocken / Gastspiel im Packhaus-Theater

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r gilt als der einzige Zauberkünstler im Lande, der ganze Theaterbühnen abendfüllend bespielen kann. Witus Witt zaubert zwei Stunden am Stück, ganz allein mit dem Publikum und ein paar Utensilien. Mit dem neuen Programm „Der neue schöne Schein“ gastiert er derzeit im Packhaus-Theater im Bremer Schnoor – mit einigen neuen Kunststücken, aber auch Ausflügen in die Geschichte seiner Zunft, von den Taschenspielern des Mittelalters bis heute.

taz: Was ist denn immer noch so aufregend an einem einfachen Kartentrick? Heute kann man doch schon ganze Flugzeuge und lebende Tiger verschwinden lassen.

Witus Witt: Ich glaube, da sind die Kollegen in Dimensionen vorgestoßen, die letztlich gar nicht so attraktiv sind. Das ist doch heute ein perverser Zustand, wenn man das Publikum zwar in ein Theater mit seiner besonderen Atmosphäre setzt und die Leute das Zaubergeschehen auf der Bühne dann aber nur indirekt auf einer Leinwand verfolgen können. Die Zauberkunst empfinde ich als viel reizvoller, wenn es einen direkten Kontakt mit den Zuschauern gibt. Der Zauberer braucht die Intimität.

Nochmal: Diese alten Tricks, die Klassiker, die nur ein bißchen variiert werden ...

... es gibt keine neuen Tricks. Nur Klassiker. Auch die Kollegen aus Amerika bringen keine neuen Tricks.

Kann man sich denn keine neuen einfallen lassen?

Die Zauberei hat nur drei Grundprinzipien: Dinge erscheinen, Dinge verschwinden, Dinge verwandeln sich.

Man kann nur die Dinge verändern, nicht den Trick.

Eben. Sie können einen Eisenbahnwaggon verschwinden lassen oder einen Groschen. Aber das Staunen können Sie nicht verändern. Sie können nicht mehr staunen über den Eisenbahnwaggon als über den verschwundenen Groschen. Beidesmal sagen Sie: „Boh!“

Warum staunen wir immer noch über die zersägte Jungfrau? Wir ahnen doch, wie das Ganze funktioniert.

Ich glaube, darüber staunen wir gar nicht mehr so. Wir amüsieren uns über den Trick. Wir freuen uns über die gelungene Inszenierung.

Welche Variante dieser Nummer bringen Sie in Ihrem neuen Programm?

Ich versuche, das „Zerteilen einer Jungfrau“ auf den Punkt zu bringen. Ich nehme ein schönes, silbernes Tafelmesser und ziehe es der Länge nach durch das Jackett eines Zuschauers. Dazu muß ich sagen, daß der Zuschauer das Jackett nicht mehr anhat. Es entsteht ein großer Schlitz im Jackett, der hinterher wieder verschwindet – hoffentlich!

Verraten Sie Ihrem Publikum den Trick?

Verraten, das klingt ja immer gleich nach Gesetzesbruch. Ich erkläre vielmehr einige Mechanismen der Zauberei, weil ich ja auch ein wenig aufklärerisch arbeiten möchte. Es gibt ja viele Menschen, die an Magie glauben. Leute rufen mich an, weil sie mich um Hilfe bitten in ihrer persönlichen Situation, weil sie wirklich glauben, ich hätte mehr Kräfte. Deswegen erkläre ich meinem Publikum, daß der Zauberer natürlich Suggestionskräfte ausnutzt, auch ein bißchen Psychologie. Ich lasse jemanden im Publikum zum Beispiel eine Faust machen – machen Sie mal mit – genau, eine Faust (Witt macht es vor) und sage dann: Jetzt legen sie ihre Faust mal ans Kinn (Witt legt seine Faust an die Wange, der Interviewer macht es prompt nach) ... sehen Sie: Ist das etwa ihr Kinn, Herr Wolff? Das sind die Mechanismen: Der Zauberer sagt etwas und tut etwas anderes.

Was fasziniert Sie an den Taschenspielern aus dem Mittelalter und ihren Tricks? Kann uns sowas heute auch noch beeindrucken?

Nein; aber in dieser ganzen technischen Welt ist es die Simplizität der Tricks, die mich interessiert. Zum Beispiel das Wandern von Bällen unter drei Bechern. Ein grandioses Kunststück, das ja auch heute noch überall geübt wird ...

... nicht immer ganz legal ...

... das ist das große Problem, daß diese Zauberei auch immer ausgenutzt wird, um sich Vorteile zu verschaffen. In der Kunst gibt es Fälscher, die ihre Kunstfertigkeit mißbrauchen. Aber an sich ist dieses klassische Spiel eine Reduzierung auf alles, was in der Zauberkunst passieren kann. Die Bälle verschwinden unter dem einen Becher, sie erscheinen unter einem anderen, und am Ende verwandeln sie sich in einen großen Ball. Das ist faszinierend, bis heute.

Einen Klassiker sieht man allerdings überhaupt nicht mehr: das Kaninchen aus dem Zylinder.

Leider Gottes gibt es noch Zauberer, die sowas machen. Ich bin sehr gegen das Zaubern mit Tieren. Der Trick ist entstanden im 18. Jahrhundert, erfunden von einem französischen Zauberkünstler. Aber man hat es in der Form eigentlich sehr selten auf der Bühne gesehen. Heute müssen es andere Tiere sein. Das Gigantische nimmt auch da Auswüchse an. Es müssen Löwen und Tiger sein, was eigentlich sehr traurig ist.

Tierquälerei durch Zauberer?

Nein, keine Tierquälerei. Aber ich empfinde es als Arroganz des Menschen, ein Tier einfach zu nehmen, zu packen und hinzusetzen, nur weil der Mensch kräftiger ist. Ich bin ja auch Beuys-Schüler und ein Anhänger seiner Lehren ...

... da ist das Kaninchen ein heiliges Tier für Sie ...

... das sowieso. Aber ich denke auch an eine Aktion von Beuys, bei der er sich einmal mit zwei Kojoten in einem Käfig hat einsperren lassen.

Das war für mich eigentlich der Auslöser: Welches Recht haben wir, über Tiere zu verfügen? Ich lasse nur leblose Dinge erscheinen und verschwinden. Fragen: tw

Gastspiel im Packhaus-Theater im Schnoor bis 8.4., täglich 20 Uhr