: Trockenfutter, Geiertango
■ Drei Premieren: „Ein Mittsommernachtstraum“ im Thalia, der Tempodrom-Kinderzirkus auf Kampnagel und „Koba“ im Ernst-Deutsch-Theater
Mittsommernachtstraum
Was ist bloß mit den jungen deutschen Regisseuren und Regisseurinnen los. Wo man hinsieht, geben sie sich altväterlich und brav. Selbst so hoffnungsvoll gestartete Wortdirigenten wie Anselm Weber oder Jossi Wieler am Schauspielhaus artikulieren sich neuerdings im zurückgenommenen Ton des handwerklichen Schauspielertheaters. Und am Thalia, das ja eh einen deutlich höheren Bravheitsquotienten besitzt, werden die neuen deutschen Talente wie Amélie Niermeyer (mit Hebbel) oder jetzt Jens-Daniel Herzog zu Verabreichern von Trockenmahlzeiten.
Und das beim Sommernachtstraum. Da muß doch Magie her, pralles Leben, schwelgende Phantasie, eine atmosphärische Maschinerie aus bizarren Regieeinfällen und großem bildlichen Fressen. Oder wozu inszeniert man heute Shakespeares sprachschönes Märchen? Als Sinnbild kreativer Aufgeräumtheit etwa?
Dieter Dorns Ziehkind jedenfalls, der demnächst Spielleiter an den Münchner Kammerspielen wird, läßt das Ensemble das Stück spielen, als ginge es darum, mit dieser Inszenierung Präsident der Handwerkskammer zu werden. Da geht alles ordentlich seinen Gang und passiert da und so, wie man sich das halt so vorstellt. In der staubfreien Ausstattung von Alexander Lintl (etwas Geometrie, etwas Pastell, etwas No-Cost-Science-Fiction-Verkleidung) erzählt Herzog, was man eh schon weiß und vertraut ganz auf die kleinen schauspielerischen Höchstleistungen. Etwa von Ignaz Kirchner, der als Zettel Freude schafft, oder Werner Wölbern, der den Puck als zotige Hafenrandelfe ganz unterhaltend spielt.
Aber dann? Ulli Maier als Elfenkönigin Titania versprüht soviel Leidenschaft, daß man nach ihren Frostbeulen sucht, und Hans Kremer spielt Oberon und Theseus gleichermaßen im Stil eines freundlich-harmlosen Oberstudienrates, der sich in die Zeit zurücksehnt, als man im Unterricht noch Ärmelschoner und Pantoffeln tragen durfte.
Wäre da nicht die wunderbare Musik von Frank Wulff, die er mit Stefan Rager auf diversen Perkussions- und Blasinstrumenten sowie einer dezent eingesetzten E-Gitarre spielt, man hätte – ganz im Geiste des Stückes – beim Schlußapplaus seine Begleitung fragen müssen, was eigentlich passiert ist, während man schlief. Till Briegleb
Tempodrom-Zirkus
„Taborka ist nicht Mallorca, aber wir lieben unser kleines Paradies“ singen die Märchenwesen des Zauberwaldes. Und das Publikum singt am Ende auswendig mit. Zwar ist Hamburg selbst bei Sonnenschein weder Taborka noch Mallorca, doch liegt ein Glücksversprechen in der Luft, wenn der Berliner Kinderzirkus Tempodrom mit Komm nach Taborka auf Kampnagel zum Mitmachen auffordert.
Tanzend, singend und mit viel Akrobatik erzählt das Ensemble zuerst sein Märchen, danach können Kinder unter Anleitung zu Zauberwesen mutieren und eigene Nummern einüben und aufführen.
Taborka, so die Geschichte, ist bedroht von Geschäftemachern, die Hochhäuser und Autobahnen bauen wollen. Die Rettung liegt im Zauberwort, das der stumme Vielleicht finden muß. Auf der Suche trifft er Geier, die Tango tanzen, und Drachen, die mit Feuer jonglieren. Am Seil dreht eine Fee Pirouetten und eine Hexe tanzt mehr mit als auf dem Trapez.
Tempodrom begeistert weniger durch spektakuläre Artistik als durch die Schönheit des Zusammenspiels von Bewegungen, Kostümen, Dekoration, Musik und Bildern. Zwar wird das Publikum miteinbezogen, viele Kinder wollen aber schon im ersten Teil mit auf die Bühne. Schade, daß jene Kinder, die in den Workshops keinen Platz finden, später um einen Platz im Rampenlicht kämpfen müssen, während die anderen in Bärenkostümen oder als Clowns liebenswerte Kunststücke zeigen, die leider aneinandergereiht sind wie Nummern im traditionellen Zirkus. Und von dem setzt sich Tempodrom eigentlich frisch ab.
Nicht perfekt ist also das taborkanische Paradies, doch befreit es sicherlich Kinder und Erwachsene aus den Klammern eintönigen Ostereiersuchens, wenn sie nur das Zauberwort kennen, das Taborka gerettet hat: A-k-r-o-b-a-t.
Elke Siegel
Koba
Die Grundproblematik dabei, historische Überfiguren auf die Bühne zu stellen, wurde in dieser Zeitung schon des öfteren diskutiert. Zuletzt an Hand von Johannes Kaetzlers Inszenierung Die Kommandeuse mit Gilla Cremer. Nun hat Kaetzler sich im Ernst-Deutsch-Theater wieder an einen Massenmörder gewagt. Diesmal ist es Stalin. Der Text dazu stammt von dem altgedienten Welt-, Zeit- und NDR-Journalisten Jost Nolte, der sich zuletzt mit seiner Behauptung vom Kollaps der Moderne als Kulturkonservativer präsentierte.
Und der Text ist schlecht. Verkürzt auf angebliche Schlüsselsituationen in Stalins Leben hangelt sich Koba in einer Art „Das-ist-Ihr-Leben“-Show von einer schlüssigen Interpretation des Diktators weg, hin zu einer verharmlosenden Studie, die außer Oberfläche nichts zu bieten hat. Da tut es nicht Wunder, daß Michael Leye als Stalin das sprachdürftige Werk in eine überaus breiige Darstellung übersetzt.
Von Stalins Machtintelligenz kein Spur. Statt dessen setzt Leye uns hier einen trägen Wichtigtuer mit dem weichen Charme eines Alkoholikers vor – mal cholerisch, mal weinerlich. Nicht nur, daß derartige Neuerfindungen von historischen Figuren – selbst wenn man sie als Farce tituliert – von naiver Hilflosigkeit zeugen, sie sagen auch schlicht nichts tiefgreifendes aus und geraten damit an den Rand der Geschichtsfälschung.
Gottseidank stimmt sonst auch nichts, sonst müßte der ehemalige Kampnagelschauspieler die ganze Verantwortung alleine tragen. Das psychedelische Bühnenbild, der tuntige Teufel, der sich als höchst moralischer Showmaster gibt, die Gegengestalt Bulgakow, die ein bißchen wirkliche Literatur zitiert, die ganze beliebige Kombination aus halbgarer Phantasie und greiser Zitierlust ist künstlerisch mißraten und historisch höchst zweifelhaft.
Bleibt die dringliche Hoffnung, daß die neue Intendantin Isabella Vértes das Theater mit der nächsten, ihrer ersten eigenen Spielzeit in jenes künstlerische Feld führt, wo Nachdenken Spaß macht und Regie Reibung ist. Sonst folgt der Tod auf Raten. Till Briegleb
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