Sanssouci
: Vorschlag

■ Der Choreograph Ingo Reulecke und Tan mit „Schwankungen“

Patient tot, würde es heißen, wenn man Ingo Reuleckes Tanzaufführung mit einem Menschen vergleichen könnte. Denn bei einer Messung der Frequenzen würde sich auf dem Bildschirm nur noch eine gerade Linie ohne Ausschlag zeigen: kein Herzschlag mehr. Trotz kleiner Bewegungsausbrüche, kurzer Beschleunigungen und mancher abrupter Richtungswechsel sind die Arbeiten des Choreographen von einer merkwürdigen Monotonie – das Energielevel bleibt immer gleich. Aber bei Reulecke ist das dennoch nicht langweilig.

„Schwankungen“ heißt das neue, am Donnerstag im Theater Zerbrochene Fenster uraufgeführte Stück des Choreographen und seiner Gruppe Tan. Ein Tänzer und zwei Tänzerinnen gehen der Frage nach: Was passiert, wenn die rationalen Kontrollmechanismen des Menschen erlahmen? Die Körper verfallen zum Beispiel in feinste Zuckungen, und unwillkürlich muß man an Jane Fonda denken, an „Barbarella“ genauer gesagt und den GV per Pille, der zu ähnlichen körperlichen Reaktionen führte und den Beteiligten während des Höhepunktes die Haare zu Berge stehen ließ. Reuleckes Arbeit ist eine Projektionsmaschine. Tanz auf der Großhirnrinde. Man schwebt von einer Assoziation zur nächsten. Leicht delirierend geht es zu, aber nie rauschhaft oder statisch, sondern sehr formbewußt und konzeptuell, zuweilen fast mathematisch präzise.

Mit „Schwankungen“ präsentiert Ingo Reulecke seine vierte Arbeit und zeigt einmal mehr, daß er zu den begabtesten jungen Choreographen gehört, die die freie Szene Berlins derzeit zu bieten hat. Einer, der auf dem Weg zu einer ganz eigenen Tanzsprache ist. Deswegen wurde Reulecke vom Beirat für freie Gruppen wohl auch nicht gefördert. Denn für fast alles, was von leicht konsumierbarer, kunstgewerblicher Arbeit abweicht, hat der neue Beirat kein Verständnis, wie seine Entscheidungen zur Projektförderung im Januar bewiesen haben. Erfreulicherweise gibt es nun eine Kurskorrektur von einer Seite, mit der man gar nicht gerechnet hat: der Komischen Oper. In der kommenden Spielzeit werden Ingo Reulecke und Alex B (die auch zu begabt ist, um vom Beirat Geld zu bekommen) mit Tänzern der Komischen Oper jeweils ein Stück erarbeiten und im Theater am Halleschen Ufer präsentieren. Michaela Schlagenwerth

Bis 8.4., 20.30 Uhr im Theater Zerbrochene Fenster, Fidicinstraße 3 (Eingang: Schwiebusser Straße 16)