Minirippchen und Buletten am Stiel

Nicht erst seit der drohenden Hirnerweichung durch Rindfleischkonsum geht der Trend zum Vegetarischen. Wie bringt der Metzger da seine Produkte jetzt noch unter die Allesfresser? Als Dino-Wurst und Chicken-Chips!

„Herrgottsbescheißerle“, so nannten die Schwaben ihre Maultaschen zur Fastenzeit. In den Nudeln steckte zwar Gehacktes, aber trotzdem durften die Teigwaren auch während der vorösterlichen Askese – kirchlich korrekt – verspeist werden. Getarnte Fleischgerichte wie Maultaschen oder Spaghetti Bolognese gelten auch in der heutigen Antifleisch-Debatte noch als erlaubt. Was aber unverkennbar an totes Tier erinnert, bleibt länger in den Kühlhäusern liegen. Nicht erst seit der Rinderseuche BSE hat Fleisch „ein Imageproblem“, so Franz Mühlbauer, Professor für Fleischmarketing an der FH Triesdorf in Nordbayern.

Im Durchschnitt verputzen die Bundesbürger noch an drei bis vier Tagen in der Woche zur Hauptmahlzeit Fleisch. „Der Trend ist rückläufig“, berichtet Hermann Frohn von der Centralen Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (cma). Der jährliche Prokopfverbrauch an Fleisch sank von 70 Kilogramm im Jahre 1988 auf nur noch 62 Kilogramm im vergangenen Jahr. Im Aufwind: Geflügel. Bei rotem Fleisch winken die Bundesbürger eher ab, vor allem bei Rindfleisch. Um bis zu 50 Prozent sind die Rindfleisch-Umsätze in einigen Filialketten in den letzten Tagen gesunken. Nach dem Hormonskandal bei Kälbern und der Salmonellen-Krise beim Geflügel hat sich der Markt zwar immer wieder etwas erholt.

„Irgendwas aber bleibt immer hängen“, ist Mühlbauer überzeugt. In einer Umfrage des Fleischexperten unter 700 Jugendlichen und jungen Erwachsenen outete sich schon jeder 20. als Vegetarier. Darüber hinaus behaupteten 40 Prozent der Interviewten, im Vergleich zu ihrer sozialen Umgebung einen „eingeschränkten Fleischverzehr“ zu praktizieren. „Das zeigt den Trend. Aus Fleischreduzierern können leicht Vegetarier werden“, befürchtet der Marketing-Fachmann.

In Sachen Fleischkonsum ist in Deutschland „eine Sättigung da“, beobachtet auch Kurt Steinbach vom Deutschen Fleischerverband. Nach den letzten fetten Dekaden hat Fleisch hierzulande seine Bedeutung als Wohlstandssymbol verloren.

In ärmeren Ländern dagegen gilt nach wie vor das Motto: je reicher desto fleischer. Selbst im hinduistischen Indien verzehren die Gruppen mit dem höchsten Einkommen über siebenmal mehr tierisches Protein als die unterste Schicht, hat der amerikanische Anthropologe Marvin Harris herausgefunden.

In Deutschland grübeln die Marketingexperten hingegen über der Frage: Wie bringe ich das Fleisch an den Mann, genauer gesagt an die Frau? „Das anonyme Fleisch“, so Mühlbauer, „erleidet die großen Verkaufseinbrüche.“ Wer am Vorabend die Bilder von kranken Rindern im Fernsehen sah, läßt sich am nächsten Tag nicht mehr von abgepackten Sonderangeboten ungesicherter Herkunft verlocken.

Mit neu geschalteter Werbung zum eigenen Prüfsiegel für deutsches Fleisch will die cma verlorengegangenes Vertrauen wiedergewinnen. Was der Branche aber fehlt, sind Neuentwicklungen. „Verlangen Sie doch mal von einem Kotelett eine Produktinnovation. Es bleibt halt immer ein Kotelett“, seufzt Manfred Heuser, Produktmanager bei der cma.

Nach dem Hamburger warfen Marktexperten die Bifi-Salami (auch ohne Kühlung haltbar) auf den Markt. Zuletzt versuchten Fleischlieferanten in Nordrhein- Westfalen mit „finger-food“ zu reüssieren: Kleinen vorgegarten Rippchen und Buletten am Stiel, die in Bierpinten verkauft werden sollten. Die aus den USA importierte Idee setzte sich nicht durch.

Von den aktuellen Skandalen unbeschadet bleibt Fleisch noch am ehesten, „wenn das Produkt in der Erscheinung vom lebenden Tier wegkommt“, erklärt Frohn. Paniertes Hühnchenhack in Form von Flugzeugen hat „Fun“-Charakter und läßt das gequälte Federvieh vergessen. Fleischwurst mit Dino-Konterfei erinnert nicht mehr an das todesängstliche Schwein.

Vor allem die „convenience“- Produkte aus der Tiefkühltheke gehen gut weg: Fleisch, neuerdings in viel Gemüse versteckt. Die Iglo- Steaklets etwa, geformte Hackfleischscheiben, wurden auf Miniformat verkleinert und mit der 20fachen Menge an Gemüse umgeben – fertig ist die vorgegarte Gemüsepfanne.

„Schnelle, problemlose Zubereitung ist wichtig für die gestreßte Mutter“, betont Ute Sievert, Sprecherin bei Langnese/Iglo. Mit Kutteln, Nieren und Ochsenzunge verschwinden auch die alten, komplizierten Fleischrezepte. „Wer von den jungen Leuten weiß denn noch, wie man eine Roulade zubereitet?“, so Sievert.

Vergangen sind die Zeiten des Barock, als zum 20-Gänge-Menü noch ungenießbare „Schauessen“ serviert wurden: Hirschköpfe mit versilbertem Geweih und Äpfeln im Maul. Ferkel, denen man Füße und den Kopf abgehackt und statt dessen Hasenköpfe und -pfoten verpaßt hatte. Ochsenköpfe, denen man Vögelchen ins aufgesperrte Maul gesetzt hatte.

Vergangenheit sind auch die Festtagsmenüs des Mittelalters wie das Hochzeitsessen des Mailänders Gian Giacomo Trivulzio vor 500 Jahren. Ein Briefbericht zählt die Gänge auf: „Gekochte Tintenfische mit kleinen Lebern – sonst nur in sehr guten Gasthäusern erhältlich. Geröstetes Gazellenfleisch. Kalbskopf von ganz jungen Tieren, in der Haut gesotten. Zusammengekochtes aus verschiedenem Fleisch – Kapaune, Täubchen, Hühnchen, Rinderzunge, Schinken und Milchdrüsen von Sauen. Ein ganzer gebratener Ziegenbock. Tauben, Rebhühner, Fasane, Wachteln. Einen Haushahn in Zucker und Rosenwasser eingeweicht. Ein ganzes gebratenes Schwein in prächtiger Soße. Gebratener Pfau mit dunkler Soße.“

Dafür gibt es heute die sogenannte „vegetarische Bratwurst“ oder „Tofu-Bulette“. Gewürzt und geräuchert, schmeckt der Sojaquark dann doch wieder fast so ähnlich wie Fleisch. Na bitte. Barbara Dribbusch