Teakholzlöwe aus Thailand

Letzte Kinovorstellung: Die Düsseldorfer Kunsthalle zeigt „The Merry-Go-World“, das Globetrotter-Karussell von Ed und Nancy Kienholz  ■ Von Mariam Niroumand

Ein „Brett mit dienstbaren Tieren“ hat Walter Benjamin das Karussel genannt, auf dem das Kind als treuer Herrscher inmitten einer stummen Schar von Fischen, Pferden, Elefanten und so weiter ruckweise von der Mutter weggerollt wird. In der Mitte liegt das dröhnende Orchestrion als Kronschatz. Also ist ein Karussel naturgemäß schon eine Assemblage, noch bevor der Pop- art-Künstler es so nennt.

Edward Kienholz, der vergangenes Jahr im Alter von 69 Jahren starb, hatte genau zehn Jahre zuvor mit seiner Frau, der Fotografin Nancy Kienholz, begonnen, für diese Assemblage eine Wunderkammer von Dingen aus Indien, China, Europa, Afrika und den USA zusammenzusammeln. Es paßt gespenstisch gut in diese Tage mit ihrer Aussicht auf die hysterische Abschlachtung von 4,5 Millionen Rindern, daß es vor allem imposante, in einer Drohgebärde erstarrte Tierkörper sind, die auf dem Kienholz-Karussel landen: Ein Teakholzlöwe aus Thailand mit einem Kopf aus Australien, der die Zähne fletscht und mit roten Augen funkelt; ein brasilianischer Affe mit weit aufgerissenem Maul und einem in Signalfarben leuchtenden Hemd; ein haariges Wildschwein, eine düpiert aussehende, goldene Giraffe. Nähert man sich dem in der Düsseldorfer Kunsthalle installierten Objekt, ertönt wie von ferne Jahrmarktsmusik, ephemer und hauchdünn wie eine vage Erinnerung.

Das Ding steht. Die Wiederkehr des Immergleichen, ein Kinderglaube, wird bei Kienholz vom Betrachter selbst erzeugt, denn das Karussel dreht sich nicht. Dafür ist sein Innenraum begehbar: Man dreht eine Losscheibe, die neben dem Affen angebracht ist, bekommt grünes Licht und darf hinein. One person only! Eine Sekunde steht man im Dunkeln und erinnert sich mit mauem Schrecken des haarigen Wildschweins, das man eben draußen noch gesehen hat, und harrt bang der Dinge, die da kommen mögen. Aber dann leuchtet freundlich eine der acht Vitrinen auf und lädt den Besucher beispielsweise in einen indischen Frisiersalon mit kleinen Kinderfotos, einer Schaufensterpuppe, deren schwarze Perücke von Leim glänzt, Bürsten, Cremes, Wasserflaschen und Reisigbesen. Auch Wolkenfotos. Das chinesische Szenario: ein Klassenfoto, eine Pfauenfeder nebst Teekanne, ein Porzellanbuddha, ein Dolch.

Was Kienholz' Arbeiten schon immer von den Assemblagen Rauschenbergs, Oldenburgs oder Grooms getrennt hat, ist ein gewisser Wille zur Sozialkritik. Die Vitrinen enthalten liebevoll arrangierte Armutsszenarien, meist auch mit Fotos von Kindern bestückt, die die Kienholzens in den verschiedenen Kontinenten kennenlernten und denen sie zum Teil von ihren Einnahmen Ausbildungen finanzierten: so der kleinen Tank aus Houston, Texas, Angel aus einem Indianerreservat in Browning, Montana, und zwei Afrikanerinnen aus Kenia.

1964, ein Jahr nach Claes Oldenburgs „Schlafzimmer Ensemble“ und fast zehn Jahre nach Robert Rauschenbergs „Monogram“, der Skandal-Assemblage mit dem Ziegenbock, der einen alten Reifen um den Leib trägt, präsentierte Kienholz sein „Staatskrankenhaus“: eine graue Box, in die man nur durch ein Gitterfenster sehen konnte. Darin lagen, auf zwei übereinanderliegenden Metallpritschen, zwei exakt gleich aussehende Figuren nackter alter Männer, deren Köpfe aus erleuchteten Fischgläsern, gefüllt mit Guppies, bestanden und deren Handgelenke an die Bettpfosten geschnallt waren.

Sympathisch bleibt der Hang zum Diorama, zum artistischen Volksvergnügen und der Handfertigkeit, die für gute Unterhaltungskunst notwendig ist – die Schnitzarbeiten an den royalen Insignien des Karussels, die frohen kleinen Glühlämpchen, das Arrangement von Samt und Plüsch, von Spiegelglas, Kupfer und Zinn. Kienholz hatte sich in den frühen sechziger Jahren als Staubsaugervertreter, Krankenhauspförtner oder Schaufensterdekorateur durchgeschlagen. Damit paßte er ausgezeichnet in die Gruppe kalifornischer Funk- art-Künstler um Bruce Nauman oder William Allen, die sich mit möglichst geräuschvollen, ins Unverschämte reichenden Absetzbewegungen von der New Yorker Kunstszene mit ihrem als puristisch empfundenen Formalismus, den Kritikerpäpsten und den tempelartig Ehrfurcht verbreitenden Galerien loseisen wollten. Billiges Material, schlechte Verarbeitung (das gesamte Karussel ist mit einer schleimig-glänzenden Leimspur überzogen) und ein Hauch von Obszönität sollten Kunst und Jahrmarkt wieder versöhnen, oder jedenfalls Kunst und Volk, was natürlich gerade mit der Schlampigkeit nicht zu erreichen war.

Eher schon, im Fall von Kienholz, mit dem gewissen dramatischen, Grand-Guignol-haften Theatermoment, das man beim Karussel wiederfindet. Es hat etwas von der Melancholie einer letzten Kinovorstellung in einer amerikanischen Kleinstadt oder, etwas wuchtiger gesagt, einer Erinnerung an den uralten „Rausch der Herrschaft“, den Benjamin mit dem Langsamerwerden des Stier- Zeus, auf dem das Kind wie eine Europa sitzt, zu Ende gehen sieht. „Spielt es langsamer, fängt der Raum an zu stottern und die Bäume beginnen sich zu besinnen. Das Karussel wird unsicherer Grund. Und die Mutter taucht auf, der vielfach gerammte Pfahl, um welchen das lachende Kind das Tau seiner Blicke wickelt.“

Edward & Nancy Kienholz: „The Merry-Go-World“. Bis 5. 5., Kunsthalle Düsseldorf