E-mail für das Reinigungspersonal

■ Elektronische Verletzung: Das Museum für Gestaltung Zürich setzt mit der Ausstellung „Ich & Du / Kommunikation und Neue Medien“ auf Kunst im Netz

Nun ist auch Zürich connected: Bruchlos wurde im Museum für Gestaltung das hinlänglich eingeführte Themenpaket „Medien und Kunst von Linz“ (Ars Electronica) und Karlsruhe (Mediale) bis Amsterdam (Doors of Perception) oder Luxemburg (Telepolis) übernommen. Die Ausstellungen „!Hello World? Internet privat“ im vergangenen Monat sowie „Ich & Du. Kommunikation und Neue Medien“ und das Symposium „Neukodierungen. Auswirkungen globaler Vernetzung“ fördern dabei in Festivalform die Gewöhnung an die industriell vorangetriebene Mediatisierung. So kann an Computerterminals das Browsen im Internet – abgesehen vom Eintrittspreis kostenfrei – ein- und ausgeübt werden, während KünstlerInnen die Aufgabe zukommt, mittels „interaktiver Computerinstallationen“ und „Videoskulpturen“ „Spielarten von Kommunikation darzustellen“. Um den Fachverstand von ExpertInnen hinzuzuziehen, wird noch ein Symposium beigefügt, bei dem gleichermaßen über Zukunftsvisionen und sozialräumliche Technikfolgen reflektiert wurde.

„Wir entscheiden über Konzepte.“ Bernhard Serexhe, Ausstellungsmacher am Medienmuseum in Karlsruhe und zugleich Multimedia-Berater im Straßburger Europarat, markierte für das Symposium den Unterschied zwischen klassischer Ateliermalerei, die erst nach Sichtung des fertigen Produkts in die Sammlung übernommen wird, und kostenintensiver Medienkunst, bei der schon vorab über die Zuweisung von Produktionsmitteln entschieden wird. Da die am Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien geförderten Projekte Etats bis zu einer halben Million Mark erfordern, müssen hierüber zahlreiche Gremien, koproduzierende Institutionen und nicht zuletzt Industriesponsoren bestimmen. Der ökonomische Druck solcher Auftragskunst, durch quasiindustrielle Herstellungsprozesse in Medienlabors und notwendige Kooperation mit Softwareingenieuren weiter befördert, hat völlig andere Produktionsverhältnisse zur Folge als die Arbeit mit einem billigen Pinsel.

Ist Monika Fleischmann demnach eine Künstlerin, wenn sie zusammen mit Wolfgang Strauss und Christian Bohn den Narzißmus in den Medien via Computer illustriert, oder demonstriert sie als „Künstlerische Leiterin“ am quasistaatlichen High-Tech-Forschungszentrum GMD in St. Augustin bei Bonn die ästhetische Qualität von Benutzeroberflächen? Ihre Arbeit „Liquid Views“ reiht sich hierbei nahtlos ein in die GMD-Produkte vom virtuellen Fernsehstudio (Premiere bei „Focus-TV“) bis zur elektronische Akten umherschaufelnden Bundesdatenautobahn Bonn-Berlin.

Auf den ersten Blick attraktiv wirkt Jill Scotts mehrteilige Installation „Frontiers of Utopia“, da sie das Potential interaktiver Programmstrukturen nicht rein illustrativ zu nutzen scheint. Per berührungsempfindlichem Gruppenfoto oder via Touchscreen lassen sich die Lebensgeschichten von acht Frauen und ihre nach Generationen aufgefächerten Ideale verfolgen. Dabei fügt die am Karlsruher ZKM residierende Künstlerin Filmsequenzen vor Blue-box-Hintergrund, CAD-Grafiken und computergenerierte Tasten zu einer den klassischen Spielfilm überschreitenden, nichtlinearen „HERstory“ ein. Doch je länger man den vielschichtig gelegten Pfaden auf Video-CD-ROM folgt, um so mehr zerfällt die versprochene Vielfalt zu enzyklopädischen Stichworten: So lassen sich „revolutionäre Ideale unseres Jahrhunderts, sei es Anarchismus, Sozialismus, Gleichheit, Kapitalismus oder Feminismus“ (Kokuratorin Cecilia Hausheer) anhand der Frauenrunde benutzerInnenfreundlich abrufen, als sei dies kaum mehr als ein interaktiver Brockhaus.

„Informationszeitalter – Kommunikationszeitalter... Begriffe, die das Industriezeitalter, welches auf einem Austausch von Waren basierte, ablösen“, behauptet die Kokuratorin Erika Keil im Vorwort der „Ich & Du“-Broschüre. Abgesehen davon, daß Information ebenfalls warenförmig ist und die bundesdeutsche Telekommunikationsindustrie etwa nicht ganz zufällig aus der klassischen Schwerindustrie hervorgeht, lastete angesichts weitgehend banaler Exponate die Betrachtung von Formen „elektronischer Verletzung“ (mein Hörfehler beim Vortrag von Bernd Meurer) allein auf den Referaten. Saskia Sassen, New Yorker Professorin für Stadtplanung, blieb es somit überlassen, über die „neue Geographie elektronischer Macht“ zu sprechen, die sich in Global Cities wie New York, Zürich oder Frankfurt- Rhein-Main formiert.

Die Verfügungsgewalt über die Informationstechnologie ist keineswegs ortlos im Netz verstreut, sondern stets sozialräumlich eingebettet. Rein virtuelle Büros oder Finanzsysteme gibt es nicht; vielmehr ist der Datentransfer nur Teil einer Wertschöpfungskette. So bleibt „e-cash“ – also die digitale Form eines Zahlungsmittels – zuerst einmal Geld und wird erst durch den operativen Transfer zum Kapital. Dies kennzeichnet hauptsächlich die durch Computerisierung und Deregulierung boomende Finanzindustrie – immerhin werden in den Netzen der Finanzindustrie 7,3 Billionen Dollar freifließendes Geld verzeichnet. Wenn auch in weit geringerem Maße, so kommt „distributed power“ aber auch Gewerkschaften oder Initiativen zugute, wenn sie sich etwa per E-Mail organisieren. Wenn also zur titelgebenden „Neukodierung“ globaler Vernetzungen nicht nur die Global Players, sondern auch die LKW-Fahrer oder das Reinigungspersonal hinzugezählt werden, lagern hier laut Saskia Sassen „Potentiale des Widerstands“.

Um sich vor äußeren Einflüssen zu schützen, bauen die Firmen „neue Zitadellen“ im Netz. Zwar nutzen sie die Leitungen, Standards und Verknüpfungsmöglichkeiten des mit öffentlichen Geldern ausgebauten Internets, bilden jedoch „Brandmauern“ um ihre Web-Sites herum und privatisieren somit „öffentlichen Raum“. Bei den als Intranet bezeichneten „Netzwerken mit strategischer Lage“ werden Interaktivität und Kommunikation ausgeschlossen, zugleich die sonst notwendigen Kosten für Installation von privaten Firmennetzen oder spezieller Software rationalisiert. So spart die private Versandfirma Federal Express dank kommerzieller Netzung des World Wide Webs jährlich zwei Millionen Dollar ein, weil nun die Kunden – immerhin 12.000 Log-ins pro Tag – den Weg ihres Päckchens selbst verfolgen, statt die mit angestellten TelefonistInnen besetzte Hotline anzurufen.

Diese medial gestützten Veränderungen sind laut Bernd Meurer vom Darmstädter Laboratorium für Zivilisation weniger städtebaulich ablesbar, sondern zeigen sich an der Beziehung der Städte und Regionen zueinander. Die Konkurrenz der Standorte führt auch innerhalb der föderal organisierten Bundesrepublik, nicht erst seit dem Fall der Mauer, zu hierarchischen Neuformierungen. Analysemodelle wie der Verbund von Global Cities oder die von England über Rhein, Ruhr, Main und die Alpen bis nach Mailand sich ziehende Wirtschaftsregion der „Blauen Banane“ suchen diese Veränderungen anschaulich zu machen.

Die Arbeit am Museum für Gestaltung Zürich ist durch das Interesse gekennzeichnet, neben Aspekten des Designs auch ökonomischen oder soziokulturellen Folgen der Industrialisierung nachzugehen. Der mehrgliedrige Veranstaltungsmarathon zum „Bereich Neue Medien“ griff allerdings weder vermittelnd ein in die Kluft zwischen Medienkunst und den Folgen der Computerisierung, noch wurde die Schiene festivalisierter Programme verlassen. Eine sich als Ausstellung konkretisierende Auseinandersetzung mit den „Auswirkungen globaler Vernetzung“ für urbane oder sozialräumliche Zusammenhänge – bislang eher Terrain von Stadtsoziologen – steht bei MedienkünstlerInnen noch aus. Jochen Becker

„Ich & Du. Kommunikation und Neue Medien“. Bis 28. 4., Museum für Gestaltung Zürich. Bis 23. 4. gibt es jeweils dienstags „Cybermovies“ zum Themenkreis Digitalisierung und Filmproduktion