Spezialistenwissen mit geringer Halbwertzeit

WER, WAS, WEM ...? Der Dozent kratzt die drei Worte auf die Tafel, redet vom „magischen Dreieck“ der Kommunikation. „Wer präsentiert, was wird präsentiert, wem wird präsentiert?“ Der Mann in den grauen Flanellhosen und dem weißen Hemd mit der linksbündig versetzten Knopfleiste angelt nach Schlagworten. Zählt auf, was er selbst gelernt hat: „Sie müssen echt wirken, Sie verkaufen Ihr Sosein. Kreativität ist das äußerste Gebot ...“ Peter Krajczys Blick wandert im Raum umher. Einige Mitschüler notieren in schwungvollen Linien die Phrasen aufs Papier. Die Tafel hinter dem Dozenten füllt sich mit sperrigen Substantiven: Präsentationsanlässe, Päsentationsformen.

All diese Begriffe aus der Werbebranche. Warum sollen sie einem Naturwissenschaftler nützen? Peter Krajczy blickt aus dem Fenster. Unvergleichliche Aussicht von hier oben. Der Überblick eines Adlers. „Sie müssen wissen: Wie komme ich rüber, wo sind meine Stärken?“, wird an der Tafel doziert. Darüber denkt Peter Krajczy, promovierter Molekularbiologe, viel nach. Er ist 32, verheiratet mit einer Krankenschwester, zwei der drei Kinder gehen schon zur Schule. Immer war er ein Einserkandidat, einer, der für die Zukunft ausgebildet wurde – und keinen Job fand.

Seine Dissertation hat untersucht, wie ein Pilz, der Weizen befällt, sich gegen sein eigenes Gift schützt. Er träumte vom Giga- Weizen, der Hitze und Frost widerstehen kann. Fünf Jahre lang erforschte er in den Gentechnischen Labors der Universität Frankfurt am Main das Immunsystem des Weizenpilzes. Als das Programm vor neun Monaten auslief, war auch sein Zeitvertrag als wissenschaftlicher Assistent zu Ende. „Die Universität konnte mich nicht übernehmen, weil die Gentechnik zuwenig Forschungsgelder erhält." Für Krajczy ist das ein Zeichen für den Niedergang der Forschung in Deutschland. Sich sieht er als einen der jungen Forscher, die dabei auf der Strecke bleiben.

Freilich hat er sich seitdem beworben. Durchforstet jede Fachzeitschrift, jede Samstagszeitung nach passablen Stellenangeboten. Vier Bewerbungen hat er losgeschickt, dreimal kamen freundliche Absagen. Einmal durfte er sich vorstellen. „Hat aber nicht geklappt.“ Peter Krajczy kann ungemein vergebend lächeln.

Er weiß, sein Spezialistenwissen hat nur eine geringe Halbwertzeit. Der Mann auf dem Arbeitsamt riet zu einem Weiterbildungskurs: Wissenschaft und Marketing – aus dieser Paarung müsse sich doch ein Zukunftsjob machen lassen. Und so hockte er sich gleich, als sein Arbeitsvertrag ausgelaufen war, in die Marketingklasse des Instituts für Datenverarbeitung und Betriebswirtschaft (IDB), im achten Stock eines Hochhauses in der Frankfurter Bürostadt von Niederrad. Seit neun Monaten paukt Peter Krajczy die Grundbegriffe von Betriebswirtschaft und Volkswirtschaft, schnappt die Regeln erfolgreicher Werbemanager auf.

Und lernt, „einwandfreie Bewerbungen zu verfertigen.“ Makellos müssen sie aussehen und frei von Tretminen sein. „Niemals darf man sagen: Ich bin arbeitslos, ich bewerbe mich.“ Diese beiden Sätze, die seinen Zustand exakt beschreiben würden, klingen für potentielle Arbeitgeber dumpf, so ohne jeden Optimismus. Haben die Referenten im Bewerbungsseminar gesagt. Lakonisch beschreibt Peter Krajczy die Dynamik der erfolgreichen Bewerbung. „Keine Blindbewerbungen, damit zeigst du nur, wie nötig du es hast; klare Ziele stecken, etwa: Ich will Verkäufer von Biotechnischen Instrumenten werden. Betone immer deine Motivation.“ Das knappe des dynamischen Arbeitslosen, Peter Krajczy sagt es sehr leise.

Der sanfte Mann wirkt erschöpft. Ohnehin ist er kein Freund langer Sätze. „Ich bin ein Mann der Fakten“, sagt er. Und er glaubt, felsenfest: Die Molekulartechnologie wird die Zukunft gestalten. Medikamente aus dem Genlabor werden Krebs und andere Krankheiten besiegen. Er versteht nicht, wieso gerade in Deutschland sich so viele dagegen sträuben.

Einmal hätte er bei einem Forschungsinstitut in Brüssel anfangen können. Doch der Vertrag war auf zwei Jahre begrenzt. Da hat er abgewogen. Für die kurze Zeit hätte sich ein Umzug für die Familie nicht gelohnt, und einen Wochenendvater wollte er nicht abgeben. „Wir haben uns auch mit der Familie für den Standort Deutschland entschieden“, sagt er und es klingt sehr bestimmt. Doch hier blüht, wenn überhaupt, nur eine Zukunft zweiter Wahl – als Handelsvertreter, der die biotechnischen Geräte, die er verkauft, auch zu bedienen weiß.

Daß er eines Tages wieder im weißen Schutzanzug im Hochsicherungstrakt eines Labors arbeiten könnte, wagt er kaum zu denken. „Ich bin ruhiger geworden.“ Er präpariert sich für den Rückzug, den Weg nach innen. Und fast wie einen Lehrsatz fügt er hinzu: „Wir können auf nichts bauen. Wir lernen aus der Vergangenheit und haben nur die Gegenwart. Die Zukunft ist zu unbestimmt.“

Im Juni wird er ein Zertifikat in den Händen halten, darf sich dann „Marketing Betriebswirt, IDB“ nennen. Keine Frage, daß er mit einer Eins abschließt. Was aber, wenn sich herausstellt, daß auch promovierte Handelsvertreter nicht gefragt sind? Daß die Weiterbildung nicht mehr war als eine Schleife im Warten auf Arbeit?