"Die US-Filmindustrie braucht Europa"

■ Leo Kirch hat einen Megadeal mit dem US-Konzern Viacom abgeschlossen, der ihm alle Filme der "Paramount" sichert. Michaela Niemeyer, Leiterin der Programmpresse der Kirch-Gruppe, über den komplizierte

taz: Welche Bedeutung hat der Kauf eines Film- und Serienpakets für die Kirch-Gruppe?

Michaela Niemeyer: Lizenzvereinbarungen wie wir sie mit Sony/ Columbia und nun mit Viacom/Paramount abgeschlossen haben, sichern uns einen Zugriff auf sehr umfangreiche Programmvolumen. Diese umfassen zum einen aktuell produzierte Spiel- und Fernsehfilme, Serien und Mini-Serien sowie weitreichende Rechte aus den Programmbibliotheken von Columbia und Paramount. Die soeben unterzeichnete Allianz mit Viacom bezieht aber auch strategische Allianzen auf den neuen, digitalen Fernsehmärkten ein. So eröffnet die Kirch-Gruppe Viacom die Möglichkeit, Fernsehkanäle wie MTV, VH-1 und einen Programmblock von Nickelodeon in ihre neue digitale TV-Plattform DF1 zu integrieren.

Sind Sie für die digitale Fernsehzukunft gerüstet?

Alle nötigen Lizenzrechte gekauft

Schauen Sie sich unsere Library an. Seit nunmehr 40 Jahren wurde und wird hier systematisch ein Programmbestand aufgebaut, der den Programmbedürfnissen in Quantität und Qualität optimale Voraussetzungen bietet. Dabei haben wir immer alle Lizenzrechte gekauft, die wir brauchen. Dazu gehören heute auch Pay-per-view-Rechte.

Welche Probleme treten beim Kauf eines Filmpakets auf?

Wichtig ist nicht allein, Lizenzen auf dem Papier zu besitzen. Die Pflege des Materials, die Qualität der Synchronisation und die optimale Archivierung sind für die langfristige Auswertung entscheidend. Dabei ist der Lizenzhandel viel komplizierter, als er gemeinhin beschrieben wird. Ein Beispiel: die Hal-Roach-Library mit etwa 2.000 Titeln, die wir vor über 34 Jahren erworben haben. Von den gekauften Filmen war damals nur Filmmaterial von 800 Titeln vorhanden. Nach den anderen suchen wir seitdem bei Sammlern oder in der Library of Congress, wo in der Regel von jedem Film eine Kopie gelagert wird. Oft bestehen die Kopien aber aus dem feuergefährlichen Material Nitrat, was die Bearbeitung zusätzlich erschwert: Die Filme dürfen wegen des Feuerschutzes nur im Winter von der Library of Congress in Washington nach Los Angeles in das Kopierwerk gebracht werden – über Land, denn der Transport im Flugzeug ist verboten.

Wie geht die Bearbeitung dann weiter?

Es kommt immer wieder vor, daß wir fünf bis sechs Positive von einem Klassiker kaufen müssen, um die defekten Szenen herauszuschneiden und durch intakte zu ersetzen. Grundsätzlich versuchen wir immer, an das Original-Mastermaterial auf 35 Millimeter heranzukommen. Dieses „Master of Masters“ wird dann digital bearbeitet. Allein die Farbkorrektur eines 90minütigen Spielfilms dauert etwa zwölf Stunden. Problematisch und teuer ist nicht nur diese Farbbearbeitung wegen der verschiedenen Projektionsmethoden für Leinwand und Fernsehen, sondern bei Serien auch die Normwandlung vom amerikanischen NTSC zum PAL-Standard in Europa.

Sie sind seit Mitte der 80er Jahre bei der Kirch-Gruppe beschäftigt. Wie hat sich der Lizenzhandel mit den US-Majors in diesen Jahren verändert?

Immer wichtigere Partner

Die Output-Deals sehen heutzutage anders aus als früher: Die kürzlich geschlossenen Verträge mit Columbia enthalten zum Beispiel auch Projekte, die gemeinsam entwickelt werden, wie die Miniserie „Dark Skies“, ein Science- Fiction-Thriller mit Magan Ward und Eric Close in den Hauptrollen. Ein anderes Beispiel: Der Output- Deal mit Hallmark Entertainment sieht vor, daß wir auf drei Jahre 66 TV-Movies gemeinsam produzieren. Anders als früher braucht die amerikanische Fernsehindustrie heute immer früher und immer häufiger die Europäer, damit ein Projekt überhaupt realisiert werden kann. So sind wir ein wichtiger Partner für Kofinanzierung und -produktion geworden.

Welchen inhaltlichen Einfluß können Sie auf diese Produktionen nehmen?

Freie Hand für die „Baywatch“-Macher

Das ist von Fall zu Fall verschieden: Die erste Staffel der Serie „Baywatch“, an der wir die kontinentaleuropäischen Rechte erworben haben, wurde ursprünglich von den US-Networks in Auftrag gegeben. Die Serie war anfangs nur in Europa ein Erfolg, in den USA nicht. Deshalb stiegen die Networks bei der zweiten Staffel aus, während wir als Koproduzenten einstiegen. Bei der dritten Staffel überschlugen sich die Networks wieder mit Angeboten. Heute ist „Baywatch“ in der 6. Staffel und weltweit die erfolgreichste Serie, gemessen an den Zuschauerzahlen. Da die Dramaturgie der Serie stimmig ist, lassen wir den Produzenten in St. Monica freie Hand.

Und bei welchen Produktionen bestimmen Sie inhaltlich mit?

Natürlich bei dem von uns initiierten Großprojekt „Die Bibel“, das auch einen Wendepunkt in der Beziehung zwischen der amerikanischen Filmindustrie und den Europäern darstellt: Die Amerikaner sind erst dann in das Projekt eingestiegen, als das Konzept fertig war und wir kurz vor Beginn der Dreharbeiten standen. Das lag natürlich auch daran, daß wir dieses große, internationale Werk mit berühmten Schauspielern besetzt hatten, unter anderem Barbara Hershey und Richard Harris. Noch ein gutes Beispiel für das neue Verhältnis ist „Scarlett“, die Fortsetzung von „Vom Winde verweht“, das in den USA beinahe als Nationalheiligtum gilt. Als bei einer Auktion die Filmrechte an dem Buch von einem Konsortium mit massiver, europäischer Beteiligung gekauft wurde, machten die amerikanischen Mitbieter große Augen. Das war ein turning point: Da ging ohne die Europäer nichts mehr. Interview: Michael Stadik

siehe auch: Seite 6