Schweigen nach der Skinhead-Demo in Auschwitz

■ Drei Tage nach der antisemitischen Kundgebung halten sich Regierung und Opposition in Polen bedeckt. Proteste vor der polnischen Botschaft in Rom

Warschau/Rom (taz) – „Neonazi-Demonstration in Auschwitz? Am Ostersamstag? Tut mir leid. Dazu kann ich nichts sagen. Nein, der Herr Minister auch nicht.“ Die Stimmen der Sekretärinnen sind eisig. Ein ums andere Mal wird der Hörer einfach aufgelegt. Im polnischen Außenministerium arbeitet der „Botschafter für die Kontakte mit der jüdischen Diaspora“ an einer Erklärung. „Rufen Sie am späten Nachmittag noch mal an. Im Moment berät er sich noch.“

Nur eine polnische Zeitung, die liberale Gazeta Wyborcza, kommentierte gestern den Skinhead- Aufmarsch in Auschwitz: „Die Gruppe um Tejkowski ist in Polen völlig unbedeutend, sogar unter den polnischen Antisemiten. Ihre Ansichten wecken Abscheu, doch die Demokratie wird durch Tejkowski nicht gefährdet. Gefährdet ist sie dadurch, daß die Demokraten nicht auf die Straße gehen und gegen Intoleranz, Antisemitismus, Rassismus protestieren. Tejkowski ist sichtbar, doch wo sind wir?“

Polen steht seit langem im Ruf, ein antisemitisches Land zu sein. Seit der politischen Wende von 1990 versuchen Intellektuelle wie Politiker, diesen Ruf abzuschütteln. Doch dazu gehört der Abschied von einem Geschichtsbild, das über 50 Jahre lang das Denken der Polen bestimmte. Es ist das aus der Romantik stammende und später von der Kirche und den Kommunisten propagierte Bild des großen historischen Märtyrers: Polen als Christus der Nationen. Polen nimmt für alle anderen Nationen das Leid auf sich. Die Täter waren für die Kommunisten die Nazis und die „kapitalistischen Juden“, und für die Kirche die Nazis, die Kommunisten und die „bolschewistischen Juden“. In diesem polnischen Geschichtsbild hatte ein zweites Märtyrervolk keinen Platz, schon gar nicht das jüdische.

Der Bezirkschef von Bielsko- Biala hatte die antisemitische Manifestation in Auschwitz genehmigt, weil – so hieß es offiziell – ein Verbot das Recht auf freie Meinungsäußerung eingeschränkt hätte. Schon am vergangenen Donnerstag stand diese Meldung in den meisten Zeitungen. Weder Mitglieder der Regierung noch der Opposition reagierten darauf. Auch der Botschafter für den Kontakt mit der jüdischen Diaspora, Krzysztof Sliwinski, schwieg. In den Medien war der bevorstehende Aufmarsch der polnischen Neonazis in der Gedenkstätte ebenfalls kein Thema. Niemand las aus der Begründung des Bezirkschefs heraus, daß demnach der Antisemitismus in Polen ein demokratisch geschütztes Recht ist. Dafür sitzten die Minister jetzt mit rauchenden Köpfen am Beratungstisch und überlegen sich „Erklärungen“.

In Rom protestierten mehrere hundert Menschen mit einem Sit-in vor der polnischen Botschaft gegen die Entscheidung der polnischen Regierung, die Demonstration vor dem ehemaligen KZ in Auschwitz zuzulassen. Veranstalter waren Jugendorganisationen aus dem ehemaligen Ghetto der italienischen Hauptstadt. Besonders bitter beklagten sich die Teilnehmer darüber, daß sich Papst Paul II., selbst Pole, nicht zu den Vorgängen äußere.

In der Nacht zuvor waren zwei Brandsätze in das polnische Botschaftsgebäude geworfen worden, die Sachschaden anrichteten. Es gibt dazu allerdings keine Bekennerschreiben oder -anrufe. Dennoch geht die Polizei von einer Verbindung der Anschläge mit den Vorgängen von Auschwitz aus. Gabriele Lesser/Werner Raith