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Lob und angelutschte Lollies

■ Jongleur Ernst berichtet über „den schönsten Job der Welt“ auf Bremens Marktplatz

Passanten hetzen Mittwoch mittag mit vollen Einkaufstüten über den Marktplatz. Männer und Frauen eilen mit wehenden Mänteln, die Aktentaschen unter ihre Arme geklemmt – wohin? Mütter und Väter zerren ihre Kinder über den Platz hinter sich her. Auch an den Tischen vor den Kneipen herrscht hektische Betriebsamkeit. Die ServiererInnen haben alle Hände voll zu tun. Die Gäste drängeln. Ihre Mittagspause ist kurz und reicht gerade für einen kleinen Happen. Plötzlich betritt ein junger Mann die Szene und baut sich auf dem Markplatz auf. „Einen wunderschönen guten Tag, mein Name ist Ernst, und ich bin Jongleur. Eigentlich habe ich heute frei, aber Sie freuen sich sicher trotzdem, daß ich da bin?“ Kaum jemand scheint den Straßenkünstler zu beachten.

Doch Holger Ernst Riekers (34) läßt sich nicht beirren. „Es dauert immer ein bißchen, bevor die Leute warm werden“, weiß der ehemalige Germanistik-Student. Seit zwölf Jahren ist er hauptberuflicher Jongleur. Hochzeitsgäste unterhält er ebenso wie Schulklassen oder Partygäste. Doch auf der Straße jongliert er am liebsten. „Die Straße ist die beste Bühne. Niemand muß zugucken. Die Leute können einfach gehen, wenn es ihnen nicht gefällt.“

„Bitte nicht mehr über die Bühne gehen“, lacht Ernst den Passanten zu und stellt sich auf seinen Holzkoffer. „Wo wollen Sie denn hin“, fragt er eine Frau, die schnellen Schrittes an ihm vorbeihastet. „Essen“, antwortet sie knapp. „Das ist aber weit“, kontert Ernst. Die Frau lächelt. Einige Passanten bleiben stehen. Ein Pärchen schlendert Hand in Hand über den Marktplatz. „Oh“, schreit Ernst begeistert. „Hat das geklappt mit der Kontaktanzeige?“ Gelächter. Die Gäste an den Tischen schauen auf. Ernst nutzt die Gunst der Stunde. Blitzschnell zaubert er seine Kegel aus dem Koffer und läßt sie durch die Luft wirbeln. Immer mehr Leute zieht er in seinen Bann. Passanten stellen ihre schweren Einkaufstaschen ab und bleiben stehen. Kinder staunen mit offenem Mund. Die Gäste an den Tischen drehen sich zu ihm um. „Oh bitte nicht“, schreit Ernst plötzlich und blickt auf ein Fenster im vierten Stock eines Hauses. Ein Koch steckt seinen Kopf aus dem Fenster. „Tu's nicht. Sieh' Dir meine Show an, und Du bekommst neuen Lebensmut. Oder hast Du britisches Rindfleisch gegessen?“ Der Koch nickt. Die Menge lacht. Und die Kegel fliegen – rechts unterm Bein durch, links unterm Bein durch. Zwei ältere Frauen schlurfen über den Markplatz. „Meine Go-Go-Girls“, stellt Ernst die Damen vor. Schallendes Gelächter. Ein grauhaariger Herr im dunklen Mantel tritt auf den Jongleur zu. Ernst gibt ihm die Hand. „Guten Tag, ich heiße Ernst, und wie heißt Du.“ Der Mann nuschelt irgendwas. „Ja, klar“, sagt Ernst, zückt eine Visitenkarte aus seiner Jackentasche und gibt sie dem Mann. „Mein neuer Manager“, jubelt er. Das Publikum brüllt. Ernst zieht seine Fakeln aus dem Koffer. „Wollt' ihr Feuer sehen?“ fragt er sein Publikum. „Jaaaaa“. „Wollt ihr es hier sehen?“ „Jaaaaa“, schreit die Menge. „Wollt ihr dafür bezahlen?“ „Neinnnn.“ „Wenigstens seid ihr ehrlich“, gibt Ernst zurück, entzündet die Fackeln und wirbelt sie durch die Luft. „Ich mach' das hier sowieso nicht wegen des Geldes, sondern weil es mir Spaß macht“, ruft er seinem Publikum zu.

„Und das stimmt tatsächlich“, bekräftigt Ernst anschließend in einem Gespräch mit der taz. „Ich bekomme unglaublich viel direkte Anerkennung: Lob, Applaus.“ Manchmal schenken ihm Kinder sogar ihre angelutschten Lollies. „Das ist unheimlich toll, weil die Lollies für die Kinder echte Schätze sind. Insofern bin ich der reichste Mensch auf der Welt.“ Und zu alledem verdient er als Straßenkünstler auch sonst „nicht schlecht“. Wieviel Geld allerdings genau nach jedem Auftritt in seinem schwarzen Hut klimmpert, will er nicht verraten. „Könnte ja sein, daß das Finanzamt die taz liest“.

Auf die Idee, sich seinen Lebensunterhalt als Jongleur zu verdienen, kam Ernst vor zwölf Jahren. Nach einem abgebrochenen Germanistik-Studium sah er eine Show von Cotton Mc Allon, einem bekannten Jongleur, und fing Feuer. „Das war einfach Fügung“, glaubt Ernst heute noch. In Trier – wohin der Zivildienst den gebürtigen Bremerhavener verschlagen hatte – übte er jeden Tag jonglieren – und zwar nicht im stillen Kämmerlein, sondern mitten auf der Straße. „Die Straße ist der beste Ausbildungsort“, sagt Ernst rückblickend.

Vor allem ein paar ältere Damen hätten damals ein wachsames Auge auf die Fortschritte ihres Günstlings gehabt. „Immer wenn ich wieder ein bißchen besser jonglieren konnte, warfen sie mir was in die Mütze“, lacht Ernst. Aus privaten Gründen kam Ernst vor einigen Jahren schließlich an die Weser zurück. „Bremen ist prima. Allein schon, weil man hier relativ leicht den Ministerpräsidenten kennenlernt.“ Bürgermeister Henning Scherf habe mal versucht, ihm eine Keule zu klauen, erzählt Ernst. „Das ist ihm aber nicht gelungen. Und ich habe Scherf dann ermahnt, er möge jetzt mal ein bißchen zurücktreten.“

„Viele Menschen rennen durch die Stadt, als wäre ihr Leben ein Fluch“, sagt Ernst plötzlich unvermittelt und läßt den Blick über den Markplatz schweifen. „Ihre Gesichter sind verkniffen, sie hetzen von einem Termin zum anderen. Ich will versuchen, ihre Herzen zu öffnen und ihnen ein Stück Zeit zurückgeben.“ kes

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