Vom Acker zurück auf die Straße

■ Das Fahrrad als Sportgerät, mit dem Feld, Wald und Wiesen unsicher gemacht werden, liegt nicht mehr voll im Trend. Statt dessen wird der Gebrauchswert des Velos im Alltag wiederentdeckt

Vor etwa zehn Jahren wurde das Fahrrad als Produkt entdeckt, das voll in den Zeitgeist paßt. Seither wird es nicht nur als ökologisches Verkehrsmittel propagiert, sondern gilt auch als hip. Die Velo-Hersteller konnten zwar in Massen neue Räder unter Volk bringen, doch zur ernsthaften Nahverkehrsalternative wurde der Drahtesel deshalb noch nicht. Doch der Trend zeigt, daß das „Fun-Bike“, mit dem am Wochenende die Natur unsicher gemacht wird, langsam vom Alltags- rad abgelöst wird.

Mountainbikes haben in den vorangegangenen Jahren den Fahrradmarkt fast konkurrenzlos dominiert. Doch spätestens seit diesem Frühjahr scheint dieser Boom einen Knick zu bekommen. „Obwohl die Mountainbikes immer noch die dominierende Radform und vom Markt nicht mehr wegzudenken sind, geht der Trend immer deutlicher in Richtung Cityrad“, sagt Markus Fritsch, Redakteur der SAZ, einer Fachzeitschrift für den Fahrradhandel.

Der Grund: Das Velo werde von immer mehr Menschen nicht nur als Sportgerät, sondern auch als adäquates Fortbewegungsmittel angesehen. „Das Cityrad ist eben ein Rad für Leute, die keine Lust mehr haben, täglich im Stau oder in der stickigen U-Bahn zu stehen.“ Aber was macht aus einem Fahrrad ein Cityrad?

Im Unterschied zum Mountainbike sind diese Gefährte nicht unbedingt geländetauglich, dafür aber auf die Anforderungen in der Stadt zugeschnitten. Transportmöglichkeiten für Einkäufe stehen genauso im Vordergrund wie eine bequeme Sitzhaltung. Auch Wartungsarmut ist ein wichtiges Kriterium. Die Palette ist breit: Das stadttauglich gemachte Mountainbike mit 12- statt 18-Gang-Schaltung, mit Gepäckträger, Beleuchtung und bequemerer Sitzhaltung wird ebenso als Citybike verkauft wie Trekkingräder, mit denen man zwar keine Tour mehr über die Äcker, aber doch noch gut über befestigte Feldwege machen kann, ausgestattet entweder mit Kettenschaltung oder aber mit 3-, 5- oder 7-Gang-Nabenschaltung. Aber das sogenannte Cityrad ist nicht der einzige (neue) Stern am Fahrradhimmel. Unterschied man vor 15 Jahren nur in 12-Gang-Rennrad, 5-Gang-Tourenrad und 3-Gang- Rücktritt, in den letzten fünf Jahren nur noch nach den Herstellern der Mountainbikes, zeichnet sich die Richtung der letzten Jahre in diesem Frühjahr noch stärker ab: Die Differenzierung innerhalb der Radfahrergemeinde wird immer größer, das heißt, der Mensch muß sich nicht mehr, wie noch vor 15 Jahren, einem relativ innovationsarmen Markt anpassen. Der Markt geht jetzt in einem viel größeren Maße auf die Wünsche der Verbraucher ein beziehungsweise entwickelt zunehmend Phantasie beim Erzeugen dieser Wünsche. Der Mountainbike-Boom hat nicht nur für eine breite Akzeptanz des Rads, sondern auch für eine Revolutionierung der Technik an und um das Rad gesorgt. Diese kommt nun auch denjenigen zugute, die sich noch nie für Mountainbikes erwärmen konnten, weil ihnen die Begeisterung, unzugängliche Berge zu erklimmen, als selbstquälerisch und gefährlich erschien. Sie gelten als die neu zu erschließende Zielgruppe.

So gibt es neben dem herkömmlichen MTB nun auch das Crossbike – das ist zwar das gleiche in Grün, hat allerdings eine größere und schmalere Bereifung (genau das richtige, um auf dem Acker neben der Straße zu fahren). Desweiteren die erwähnten und in unterschiedlicher Ausführung zu erwerbenden Trekking- und Cityräder, wobei der Unterschied allerdings ziemlich fließend ist, da ein Touren-Trekkingrad eben auch zum Einkaufen taugt. Ebenso viele Formen von Liegerädern, Räder mit Drahtseilen statt Metallrohren als Halterung, Beachcruiser und last und leider auch least die Rennräder, die zwar auch in puncto Material und Rahmenbau ebenso wie das herkömmliche Rad revolutioniert wurden, auf der Bestsellerliste aber sehr weit unten rangieren. „Ihr Gesamtanteil am Markt beträgt seit Jahren konstant drei bis acht Prozent. Zum Vergleich: 1995 wurden in der Bundesrepublik zwischen 4,8 und 5 Millionen Fahrräder verkauft. Dabei lag der Anteil der Mountainbikes bei 60, der von Trekking- und Cityrädern bei 30 Prozent“, sagt Volker Dohrmann, Produktmanager für Kompletträder bei der Radfirma Stevens. Zwar glaubt er nicht, daß die Trekking- oder Cityräder als aussichtsreichste Kandidaten den Mountainbikes den Markt in den nächsten Jahren streitig machen können, sieht aber auch hier das Potential gegeben, noch mehr Menschen als bisher vom Radfahren überzeugen zu können.

Auch Markus Fritsch sieht in diesen Rädern die Newcomer des Jahres 1996: „Der Markt kämpft mit der Gesundschrumpfung. Denn obwohl sich die Zahlen für 95 immens anhören, reichen sie doch nicht an frühere heran. So wurden 1991 noch 6,8 und 1992 und 1993 jeweils noch 6,3 beziehungsweise 6,5 Millionen Fahrräder verkauft. Dabei hatte das Mountainbike seinen Zenit 1995. In den kommenden Jahren werden verstärkt Trekking- und Cityräder gefragt sein.“

Für das verschwindend geringe Interesse an Rennrädern haben sowohl Fritsch wie Dohrmann nur eine Erklärung: den gewandelten Konsumentenwunsch der wohl größten Gruppe der Radkäufer: die Kinder und Jugendlichen.

Empfanden sie in den Achtzigern noch dünne Reifen und die Möglichkeit einer relativ hohen Geschwindigkeit als unabdingbare Notwendigkeiten beim Fahrrad, machen sie es in den Neunzigern nun wie die Autofahrer: Wo man schon nicht mehr schnell fahren kann, soll man doch wenigstens protzen dürfen. Norbert Seeger