■ Ökolumne
: Sprachentsorgung Von Wolfgang Ehmke

Eine Emnid- Umfrage aus dem Jahr 1958 ergab, daß rund zwei Drittel der Befragten mit dem Begriff „Atomenergie“ die Bombe assoziierten. Ein Drittel hatte von der „friedlichen Nutzung“ der Atomenergie noch nie etwas gehört. Es war die Zeit der Massenproteste gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr. Sie gipfelten oft – zum Beispiel in der Göttinger Erklärung der westdeutschen Atomphysiker – in der Forderung, die Atomenergie solle für „friedliche Zwecke“ genutzt werden.

Doch der angeblichen Euphorie über die Segnungen der Atomenergie widersprechen damalige Umfragen. Joachim Radkau bezweifelt deshalb in seinem Buch „Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft“, ob es eine Atomeuphorie gab, ob es sich nicht vielmehr um eine „veröffentlichte Meinung“ und nicht um die öffentliche Meinung gehandelt habe. Die Negativassoziation „Atom = Bombe“ zumindest hat der Atomlobby so sehr zu schaffen gemacht, daß Anfang der sechziger Jahre bewußt der Begriff Atomenergie durch das Wort „Kernenergie“ ersetzt wurde. Überreste der alten Begrifflichkeit finden sich aber noch in Zeitschriftentiteln wie etwa Atomwirtschaft (1. Jahrgang, später atomwirtschaft – atomtechnik/atw). Deren späterer Chefredakteur Müller schrieb 1954: „Auch die Atombombe ist ihrem Wesen nach ein Reaktor.“ Es ist eine Binsenwahrheit, daß es zwischen ziviler und militärischer Nutzung der Atomenergie keine Trennschärfe gibt. Der Durchbruch der kommerziellen Nutzung der Atomkraftwerke war begleitet von massiver Propaganda über die Gefahrlosigkeit dieser Technologie, verbunden mit plumper Angstmacherei: Ohne AKW seien Arbeitsplätze in Gefahr und gingen die Lichter aus.

Heute ist die Argumentation differenzierter. Die Atomstromproduzenten treten gegen die CO2-Produktion an und retten das Weltklima. Unverändert ist ihr Bestreben, massiv auf die öffentliche Meinung Einfluß zu nehmen. Wortneuschöpfungen, deren assoziative Wirkung genau kalkuliert ist, gehören zum Repertoire der semantischen Kriegsführung. Einige haben sich weitgehend durchgesetzt, auch im Sprachgebrauch der Atomkraftkritiker:

Entsorgung – suggeriert die angebliche Beseitigung von Atommüll. Atomarer Abfall müßte über Zehntausende von Jahren sicher gegen die Biosphäre abgeschirmt werden: ein Ding der Unmöglichkeit.

Entsorgungspark – diese Begriffsreaktion sollte im Jahr 1978 über die beispiellose Konzentration der Atomtechnologie in Gorleben hinwegtäuschen: Zwischenlager, Wiederaufarbeitung, Brennelementefertigung, Konditionierung und Endlagerung auf einem Terrain von 16 Quadratkilometern mitten im Naturschutzpark Elbufer-Drawehn.

Entsorgungsvorsorge – ein semantischer Salto mortale. 1962 wurde der erste Reaktor (Kahl) in Betrieb genommen. 15 Jahre später nahmen die Gorleben- Pläne Kontur an, mangels Endlager werden Mitte der neunziger Jahre in Ahaus und Gorleben, demnächst in Greifswald oberirdische Dauerlager in Betrieb genommen: Mangelnde Vorsorge verkehrt sich in in ihr Gegenteil.

Entsorgungsvorsorgenachweis – der Gipfel dieser Wortakrobatik: Um einen derartigen „Nachweis“ zu führen, reicht die Benennung von Standorten für künftige Planungen. Die prospektiven Endlager Schacht Konrad und Salzstock Gorleben werden seit Jahren als Entsorgungsnachweis angeführt, ohne daß bisher irgendeine gültige Genehmigung für diese Deponien vorliegt.

Entsorgungsverantwortung – will auch der Bündnisgrüne Joschka Fischer übernehmen, sagte er, als in Bonn noch Konsensgespräche über Restlaufzeiten der Atommeiler gestritten wurde. Dann eben, wenn der Ausstiegsfahrplan festgeschrieben sei, müßten auch die Grünen sich in die Entsorgungsverantwortungsgemeinschaft begeben.

Da bleiben wir lieber gemein und sorgen für den Dissens. „Castor Stopp“ ist unser Beitrag zur veritablen Entsorgungsvorsorge.