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Legale Folter nicht vorgesehen

■ Der in Hamburg lebende Kurde Hidir Özdemir soll abgeschoben werden, weil das türkische Recht seine Mißhandlung nicht vorsieht Von Marco Carini

Heute nachmittag entscheidet der Eingabeausschuß der Hamburgischen Bürgerschaft über das Schicksal von Hidir Özdemir. Die ParlamentarierInnen müssen darüber befinden, ob dem 43jährigen kurdischen Asylbewerber, der in seiner türkischen Heimat politisch verfolgt und von der Polizei mißhandelt wurde, eine erneute Verfolgung nach seiner Rückkehr in die Türkei droht.

Für die Abgeordneten – von denen sich die meisten noch nie vor Ort ein Bild von der militanten Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung in der Südtürkei gemacht haben – dürfte die Ablehnung der Petition eine reine Routinesache sein. Ein Ausschuß-Mitglied prophezeit: „Die Eingabe wird in fünf Minuten vom Tisch gewischt.“

Dabei können sich die VolksvertreterInnen immerhin auf ein Urteil des Hamburger Verwaltungsgerichtes vom 5. Dezember vergangenen Jahres beziehen, in dem die Klage Özdemirs gegen die Ablehnung seines Asylantrags als „unbegründet“ ablehnt wurde. Das Gericht hatte am grünen Tisch befunden, daß die Schilderungen des seit 1989 in der Bundesrepublik lebenden Flüchtlings „vage und oberflächlich“, vor allem aber „nicht glaubhaft“ seien.

Özdemir hatte zu Protokoll gegeben, er sei von der türkischen Gen-darmerie mehrfach verhaftet, schikaniert und mißhandelt worden. Er hatte es abgelehnt, sich als „Dorfschützer“ verpflichten zu lassen, weil er dann dazu gezwungen werden könnte, gegen kurdische NachbarInnen vorzugehen.

Allerdings, so befand das Gericht nach dem Motto „weil nicht sein kann, was nicht sein darf“, gäbe es in der Türkei „keine legale Handhabe gegen Personen, die die Übernahme eines solchen Amtes ablehnen“. Daß es in der Türkei auch keine „legalen“ Folterungen und Erschießungen von KurdInnen gibt, ließ der Vorsitzende Richter in seinem Urteilsspruch hingegen unberücksichtigt.

Auch eine satte 50-Prozent-Chance auf politische Verfolgung reichte dem Verwaltungsgericht als Asylgrund nicht aus. In dem Urteilsspruch über die Zukunft des Kurden heißt es: „Dabei genügt es nicht, daß eine politische Verfolgung (...) gleichermaßen wahrscheinlich wie unwahrscheinlich ist.“ Gelangt der Peditionsausschuß heute zu derselben Einschätzung, muß Özdemir die Bundesrepublik bis zum kommenden Freitag verlassen, wenn er einer Abschiebung entgehen will – obwohl seine amtliche „Aufenthaltsgestattung“ erst am 22. Mai ausläuft.

Pech für den Kurden: Nachdem er über Ungarn und Österreich zu Fuß nach Deutschland geflüchtet war, wurde er Hamburg zugeteilt. Sein Anwalt Wolfgang Berendsohn jedenfalls ist aufgrund der Aktenlage sicher: „In Schleswig-Holstein hätte mein Mandant keine Probleme gehabt, als Asylberechtigter anerkannt zu werden.“

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