Zum Jubiläum droht dem Modell das Aus

Vor 50 Jahren wurde die Technische Universität gegründet. Die Einführung geisteswissenschaftlicher Fächer sollte aus der Technokratenhochburg eine Lehrstätte für das Humane machen. Nun bedroht der Spardruck dieses Experiment  ■ Von Wolfgang Neef

Vor 50 Jahren, im April 1946, wurde aus der seit April 1945 nicht mehr existenten Technischen Hochschule Charlottenburg die Technische Universität. Die Umbenennung in „Universität“ war Programm: Aus der Technokratenhochburg, die schon 1932 durch Vertreibungsaktionen jüdischer Studenten und Wissenschaftler, später u.a. mit der „Wehrtechnischen Fakultät“ den Nazis eifrig zu Diensten war, sollte eine das Humane pflegende Lehr- und Forschungsstätte werden, die den „ganzen Menschen“ bildet (Generalmajor Nares in seiner Eröffnungsrede). Das von den Engländern den wenig schuldbewußten Ingenieuren aufgedrängte Konzept sah im wesentlichen die Addition einer Humanistischen Fakultät vor, deren Lehrveranstaltungen für die Studierenden der Ingenieurwissenschaften als „humanistisches Studium“ mit vier Prüfungsfächern verpflichtend zum Diplom dazugehörten.

Die Erfahrungen mit diesem Konzept waren zwiespältig: Die beiden Kulturen – Technik und Naturwissenschaften auf der einen, Geistes- und Sozialwissenschaften auf der anderen Seite – blieben bis in die siebziger Jahre hinein voneinander ziemlich abgeschottet. Es reichte bis dahin nicht einmal für die Aufarbeitung der Verstrickung der Ingenieure in die Naziverbrechen: Ehemalige „Wehrwirtschaftsführer“ wie der Flugzeugkonstrukteur Heinrich Hertel (Bomberbau bei Heinkel und Junkers) arbeiteten schon 1955 wieder an der TU; der Raketenbauer Wernher von Braun, der von 1943 bis 1945 die V1- und V2- Waffen unter Einsatz von KZ- Häftlingen produzierte (rund 20.000 Tote im Komplex „Mittelbau Dora“, der Fertigungsstätte mit angeschlossenem KZ), wurde 1963 Ehrendoktor der TU.

Das „humanistische Studium“ blieb ein Fremdkörper auch in den Studienplänen: Unverbunden mit den Ingenieurfächern, bot dieser bildungsbürgerliche Zusatz keine Ansatzpunkte zur kritischen Beschäftigung mit der Technik selbst – die eigentliche Absicht der Wiedergründung. Deshalb wurde auch im Zuge der Studentenbewegung – der TU-Asta seit 1967 immer mittendrin – dieses Konzept mit der ausdrücklichen Absicht abgeschafft, einen (kritischen) Gesellschaftsbezug in den Fächern selbst zu etablieren. Dies gelang nur teilweise – immerhin gibt es seitdem den Fachbereich „Verkehrswesen“ mit dem Verkehrswesenseminar, seit Mitte der 70er Jahre erstmals in Deutschland den Studiengang „Technischer Umweltschutz“ sowie das eine oder andere eher „ganzheitliche“ Projekt. Allerdings blieben die technischen „Kernbereiche“, wie sie sich gern unter dezent-indirektem Verweis auf die „Randständigkeit“ der Geistes- und Sozialwissenschaften an der TU nennen, davon weitgehend unberührt.

Im Zuge der Integration der Pädagogischen Hochschule 1979 kamen dann mit der Lehrerbildung und der Sozialpädagogik nur langsam neue Impulse im Sinne der Gründungsidee an die TU. Dennoch: In den zentralen Gremien, über die hochschulpolitischen Gruppierungen von Studierenden, sonstigen MitarbeiterInnen, Mittelbau und ProfessorInnen, vollzog sich ein kultureller Wandel an der TU. Seit der Beteiligung der linken „Reformfraktion“ am Präsidium Mitte der achtziger Jahre und einer „Koalition“ aus konservativen „Modernisierern“ und Reformern in der „Ära Fricke“ ab 1989 wird dieser Wandel auch in konkreten neuen Projekten sichtbar.

So gab es in rascher Folge Reformprojekte, die in ihrer Summe bundesweit einmalig sein dürften: 1987 die „Projektwerkstätten für umweltverträgliches Denken und Handeln“, 1988 das Studienreformprogramm, 1992 die „Studienbüros“, 1993 die „Zentraleinrichtung Kooperation“ für Gewerkschafter, Bürgerinitiativen, Umweltverbände und andere gesellschaftliche Gruppen und generell eine stärkere Dienstleistungsorientierung in die Region hinein. Noch im Dezember 1995 entstand das lange geplante „Zentrum Technik und Gesellschaft“. Mehrere Projekte, die im studentischen Streik 1988/89 entwickelt wurden, sind inzwischen fest etabliert, insbesondere im Bereich der Umweltwissenschaften. So ist das alternative „Energieseminar“ inzwischen Regeleinrichtung. Es hat sich aus einem atomkritischen studentischen Projekt entwickelt, das im übrigen 1986 für einige Wochen die einzige funktionierende Auskunftstelle für Bürger war, die sich über die Folgen von Tschernobyl informieren wollten.

Die TU hat diese Ergebnisse leider nach außen nie angemessen „verkauft“. Auch hier ist sie noch viel zu sehr technikgeprägt: Man möchte durch technokratischen Sachbezug und gutes Konfliktmanagement auch dann unauffällig bleiben, wenn es um zentrale gesellschaftliche Konflikte und antitechnokratische Aktivitäten geht. Kaum jemand hat registriert, daß mit der Reduzierung von 22 auf 15 Fachbereiche zwei große interdisziplinäre Umweltfachbereiche gebildet wurden (Fachbereich 6 – Verfahrenstechnik, Umwelttechnik, Werkstoffwissenschaften und Fachbereich 7 – Umwelt und Gesellschaft, dazu blieb der „alte“ Fachbereich Verkehrswesen bestehen). Selbst im traditionell konservativen Maschinenbau wurde ein interdisziplinäres Moment eingebaut: Ein Teil der TU-Psychologie ist seitdem, zum Entsetzen des bundesweiten Maschinenbau- Establishments, in den Fachbereich eingegliedert, es entstand unter anderem das „Zentrum Mensch–Maschine–Systeme“.

Obleich an vielen Veränderungnen beteiligt, ist inzwischen der immer noch starke konservative Kern der TU in trauter Eintracht mit dem Wissenschaftssenat auf Restauration gestimmt. Die Gelegenheit kam mit den jüngsten Sparwellen. Der erste Versuch war 1994 der „Schumann-Plan“ des amtierenden Präsidenten, der vorsah, den größten Teil der Lehrerausbildung von der TU wieder zu entfernen. Abgeschmettert vom Akademischen Senat, landete er in der Schublade des Senators. Mit der Sparrunde 1995 kam er wieder als Erhardtsche „Giftliste“. Auch diese wurde mit einem TU-eigenen Sparplan gekontert, der relativ gleichmäßig in allen TU-Bereichen Professorenstellen preisgab – dies aber schon mit reichlich internem Knirschen im TU-Gebälk: Die Studierenden mochten bei solchen Sparplänen nicht mehr mitmachen und scherten aus.

Der dritte Angriff, jetzt ganz offen politisch motiviert (Diepgen: Die Lehrerbildung soll weg, damit die TU-Techniker wieder ihre Ruhe haben), läuft derzeit über die Sparpläne der Großen Koalition: Eingriffsmöglichkeiten bei fortdauerder Renitenz des Akademischen Senats der TU, die den Senat ermächtigen, Studiengänge zu schließen, ergänzen die wiederauferstandene Ehrhardtsche Giftliste, die nur auf Eis gelegt ist. Und obgleich es durchaus noch alternative Einsparmöglichkeiten gibt (Mieten, Berufungen), ist die Gefahr groß, daß es diesmal klappt: Eine breite Riege konservativer Professoren fordert inzwischen offen die Abwicklung der unbequemen Lehrer und Sozialpädagogen an der TU, um die alten Mehrheiten wieder zu erreichen – hilfsweise, so der ehemalige Vizekanzler Kutzler in einem von etwa 150 Professoren unterzeichneten Brief, über den Staatseingriff. Der Widerstand der Linken bröckelt: Nach dieser dritten Runde, so befürchten viele, wird die vierte kommen und danach die fünfte – die Kraft zum Kämpfen schwindet. So droht das 50. Jubiläum der Neugründung der TU auch das Ende eines Modells zu werden, das erst spät seine Wirkung entfaltet hat.

Das Groteske dabei: Seit einigen Jahren fordern die „Abnehmer“ von Ingenieuren, auch in der Industrie, einen „neuen Ingenieurtypus“, der weniger technikborniert, dafür aber sozial und kommunikativ kompetent sein soll – also genau das, was in den letzten Jahren mit Hilfe der Geistes- und Sozialwissenschaften an der TU in den verschiedensten Projekten gefördert wurde: ökologisch und sozial kompetente und verantwortlich handelnde IngenieurInnen.

Albert Speer, von 1928 bis 1932 wissenschaftlicher Assistent an der TH Charlottenburg, hat nach 1945 über seine Rolle im Naziregime und beim Einsatz von KZ-Häftlingen in der Rüstungsindustrie sinniert: „Ich sehe, daß der Anblick leidender Menschen nur meine Empfindungen, nicht aber meine Verhaltensweisen beeinflußte. Auf der Ebene der Gefühle kam nur Sentimentalität zustande; im Bereich der Entscheidungen herrschten weiterhin die Prinzipien der Zweckmäßigkeit.“

Gegen diese Speerschen „Zweckmäßigkeiten“ anzugehen war TU-Programm bis heute. Wir wissen inzwischen, daß es nicht nur um Rüstung geht, sondern auch um die klassischen Großtechnologien, die sich gegen die Natur und unsere Lebensgrundlagen zu wenden drohen, daß verantwortliches Handeln von Ingenieuren und Suche nach Alternativen überlebenswichtig werden. Wer heute die Techniker mit solchen Fragen „in Ruhe lassen“ und die TU auf die klassischen „Kernbereiche“ reduzieren will, zerstört deshalb auch ihre Zukunftsfähigkeit. Darüber zu diskutieren ist Programm der „Wissenschaftlichen Konferenz“, die zum 50. Jubiläum morgen und übermorgen in der TU stattfindet. Einmischung aus Stadt und Region ist geboten.

Der Autor ist Leiter der Zentraleinrichtung Kooperation an der TU und war 1989–93 Vizepräsident