Blech reden und am Golde hängen

Morgen eröffnet in Moskau die Ausstellung des Schatzes von Heinrich Schliemann – „Das Gold aus Troja“. Die Berliner Museen machen ihre Ansprüche auf die russische Beutekunst mit einer Gegenausstellung deutlich  ■ Von Stefan Koldehoff

Ihren letzten großen öffentlichen Auftritt in Deutschland hatte Irina Antonowa im Juni 1993. Damals saß die heute 74jährige Direktorin des Moskauer Puschkin-Museums auf dem Podium im Essener Museum Folkwang, um die von ihr maßgeblich mitorganisierte Ausstellung über die beiden russischen Kunstsammler Ivan Morosow und Sergej Schtschukin der Öffentlichkeit vorzustellen. Man möge die frisch ondulierte Frau im roten Kleid nicht auf das Thema Beutekunst ansprechen, war zuvor den deutschen Journalisten zugeraunt worden, schließlich solle die beinahe akzentfrei deutsch sprechende Museumsfrau nicht verärgert werden.

Inzwischen sind alle Beteiligten an der mittlerweile mehrere Jahre währenden Diskussion über die Beutekunst gesprächiger geworden. Der Direktor der Sankt Petersburger Eremitage, Michail Piotrowski, plauderte auf Einladung deutscher Lions-Clubs unter anderem in der Kulturmetropole Wuppertal-Elberfeld zum Thema; Irina Antonowa gab allein in der vergangenen Woche zwei Hamburger Wochenblättern und dem deutschen Fernsehen Interviews – gegen sechsstellige Honorare wie gemunkelt wird.

In anderen Bereichen geht die Vermarktung der erst nach jahrzehntelangem Schweigen und zur angeblich auch russischen Überraschung wiedergefundene Kulturgüter erheblich offener vor sich. Die Katalogrechte für die gerade zu Ende gegangene Ausstellung mit Gemälden von Degas bis van Gogh makelte für die Eremitage der New Yorker Verlag Knopff, die deutschen Rechte sicherte sich Droemer/Knaur. Zur bevorstehenden Troja-Ausstellung in Moskau gibt es einen deutschsprachigen Katalog im Belser Verlag. Er geht mit keiner Zeile auf die rechtliche Situation der ebenfalls nach Kriegsende gen Osten mitgenommenen antiken Ausgrabungsfunde aus Kleinasien ein.

Dazu ist nun aber nach langem beredten Schweigen die deutsche Seite bereit – aus konkretem Anlaß. Kurz bevor am kommenden Dienstag im Moskauer Puschkin- Museum die publikumsträchtige Schatzschau „Das Gold aus Troja“ eröffnet wird, hat im Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte eine Ausstellung zum selben Thema begonnen.

In Berlin nämlich überlebten etwa 6.500 der insgesamt 11.000 Fundstücke, die Schliemann um die Jahrhundertwende unter immer noch nicht restlos geklärten Umständen nach Berlin schaffen ließ, um sie dort mit patriotisch- pathetischer Geste „dem deutschen Volke“ zu schenken. Außerdem werden im Charlottenburger Schloß alle schriftlichen Unterlagen zu Schliemanns Ausgrabungen konserviert. Zweimal bot der Direktor des Berliner Museums, Wilfried Menghin, seiner Kollegin Antonowa deutsche Hilfe und deutsche Exponate für die Moskauer Troja-Schau an: Dokumente, Fotografien, Keramik und Steinkunstwerke, die aus der nun vor allem vom Sensationseffekt lebenden reinen Schatzpräsentation eine Dokumentation der von Schliemann für Troja gehaltenen ausgegrabenen neuen Schichten und damit von neuen Zeitepochen hätte werden lassen können. Als am 25. Oktober 1994 einer deutschen Delegation zum erstenmal gestattet wurde, die Schliemann- Originale in Moskau in Augenschein zu nehmen, schlug Menghin zum erstenmal eine deutsch-russische Kooperation vor. Er wiederholte sein Angebot noch einmal bei der internationalen Konferenz über Beutekunst im Januar 1995 in New York. Eine Antwort aus Moskau ist bis heute nicht in Berlin eingegangen.

Von einer Berliner Gegenausstellung mag der Sprecher der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Wolfgang Kahlcke, trotzdem nicht sprechen: „Die Berliner Bestände, die bis zur Maueröffnung zum Teil im Osten und zum Teil im Westen aufbewahrt wurden, mußten nach ihrer Zusammenführung ohnehin neu geordnet und sollten dann wieder gezeigt werden. Wir haben allerdings die Zeitgleichheit zu einer Demonstration genutzt.“ Deutlicher wird eine Presseerklärung der Stiftung. „Entgegen internationalen Gepflogenheiten“ zeige nun das Puschkin-Museum den Moskauer Teil des Schliemann-Schatzes und, was noch schwerer wiegt und in dieser Form von einem deutschen Museum bislang nicht geäußert wurde, „ohne Beteiligung der Eigentümerin, der Stiftung Preußischer Kulturbesitz“. Daß pünktlich zur Berliner Eröffnung der Leiter der Kulturabteilung im Bundesinnenministerium, Professor Wolfgang Bergsdorf, dieselbe Position öffentlich vertrat, macht die angeblich so unspektakuläre Neupräsentation der Bestände zum kulturpolitischen Ereignis, zumal das eigentlich für die auswärtige Kulturpolitik zuständige Auswärtige Amt unter Klaus Kinkel vor der bevorstehenden Präsidentenwahl in Rußland keine Vorstöße mehr wagt.

Pikant ist die neue Berliner Offenheit vor allem durch die gleichzeitige Weigerung der dortigen Museumsverantwortlichen, auf einen Vorschlag des zur Zeit weiter am „Trojahügel“ grabenden Archäologen Korfmann. Der Tübinger Altertumsforscher hatte angesichts der zur Zeit unlösbaren Rückgabediskussion und vor dem Hintergrund der Diebstahlsvorwürfe auch gegen Heinrich Schliemann vorgeschlagen, ein „Troja- Museum“ am Ausgrabungsort zu errichten und dorthin die dann internationalisierten Fundstücke aus Berlin und Troja zu geben. „Dieser Vorschlag gefällt uns gar nicht“, kommentiert Wolfgang Kahlcke. „Wenn man die Eigentumsfrage nicht mehr stellt, löst man die seit dem 18. Jahrhundert bestehende Institution Museum auf. Dann wäre auch kein Kulturaustausch mehr möglich.“

Einen eigenen Katalog hat das Museum für Vor- und Frühgeschichte zur Berliner Ausstellung nicht veröffentlicht. Statt dessen erschien Band II der „Dokumentation der Verluste der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz“, nach denen die Gemäldegalerie diesmal jene Bestände verzeichnet, die das kulturgeschichtliche Museum seit dem Zweiten Weltkrieg vermißt. Das Thema Beutekunst ist für Berlin deshalb mit den beiden Troja-Ausstellungen noch nicht beendet: Die Dokumentationsreihe ist auf insgesamt dreißig Bände angelegt und soll die Verluste aller 17 Museen der damaligen Reichshauptstadt verzeichnen.

Zur Moskauer Ausstellung erscheint der deutschsprachige Katalog: „Der Schatz aus Troja“. 288 S. mit 300 Farbabb., Belser Verlag, Stuttgart. 78 DM

Klaus Goldmann und Wolfgang Schneider: „Das Gold des Priamos. Geschichte einer Odyssee“. 190 S. mit 45 S/W- und 19 Farbabb., Kiepenheuer, Berlin. 39,90 DM