Ein Sicherheitsventil für die Gesundheit

Feiern die Deutschen zu häufig krank? Eine immer wieder gern diskutierte Frage. Neue Statistiken zeigen: Nur die wenigsten verschaffen sich auf diesem Weg einen kleinen Zusatzurlaub  ■ Aus Berlin Karin Flothmann

Kaum nähert sich das Wochenende, schon schlagen sie zu. Rücken Feiertage oder Ferienzeiten in greifbare Nähe, so sind sie nicht mehr zu halten, die Blaumacher und Krankfeierer. Das zumindest denken Chefs von ihren MitarbeiterInnen.

Schon seit Jahren haben sie deshalb den Kampf gegen den Mißbrauch der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auf ihre Fahnen geschrieben. Denn Deutschlands BummelantInnen, so meinen jedenfalls die ArbeitgeberInnenverbände, treiben zu einem guten Teil die Kosten für die Lohnfortzahlung in die Höhe. Rund 60 Milliarden Mark, so errechnete das Institut der Deutschen Wirtschaft, gaben Arbeitgeber 1995 für ihre kranken MitarbeiterInnen aus. Nach einer Untersuchung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) gehen zwei Drittel der Unternehmen davon aus, daß sich hinter dem Krankenstand im Betrieb der blanke Mißbrauch verbirgt. Ein Drittel meint, daß ein erheblicher Anteil ihrer MitarbeiterInnen Mißbrauch mit dem Kranksein treibt.

Ein Indiz für diesen Mißbrauch, erklärt Volker Hansen von der BDA, sei etwa der hohe Krankenstand vor und nach Wochenenden und Feiertagen. Eine Analyse der Betriebskrankenkassen von 3,8 Millionen Arbeitsunfähigkeitsfällen ergab, daß die erstmalige Krankschreibung an Montagen mit 33,2 Prozent überproportional hoch liegt. Übersehen wird hier allerdings, daß ArbeitnehmerInnen, die montags zum Arzt gehen, häufig schon am Wochenende erkrankt sind. Der Montag schließt auch die Krankheitsfälle des Wochenendes mit ein.

Geht es um das Ende einer Krankschreibung, so sticht der Freitag mit 46,6 Prozent aller Fälle deutlich hervor. Dies, so Erika Zoike vom Bundesverband der Betriebskrankenkassen, belege mitnichten das Krankfeiern von ArbeitnehmerInnen, sondern die weitverbreitete Praxis der ÄrztInnen, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis zum Ende der Woche auszustellen.

Volker Hansen von der BDA kennt andere Ursachen, die das Blaumachen begünstigen. Immerhin gebe es da noch den berühmten „Doc Holiday“, eben jenen Arzt, der stets und immer krank schreibe, sobald ihn ein Arbeitnehmer dazu auffordere. Daß es solche schwarzen Schafe in der Branche gibt, schließt Hagen Sandholzer von der Universität Göttigen nicht aus. Eine Untersuchung, die er in Zusammenarbeit mit dem Medizinsoziologen Wolfgang Himmel durchführte, zeichnet jedoch ein anderes Bild von den Allgemeinmedizinern.

Ärzte schreiben danach nicht sinnlos krank. Eine Krankschreibung kommt immer nur im Einvernehmen zwischen Arzt und PatientIn zustande, teils lehnten Ärzte sie auch ab. Zudem, so die Studie, verlassen nur rund 40 Prozent aller Berufstätigen, die einen Arzt aufsuchen, die Praxis mit einer Krankschreibung.

Volker Hansen von der Vereinigung der Arbeitgeber gibt nicht auf: Ein schlagendes Indiz für den Mißbrauch sei die hohe Zahl der Kurzzeiterkrankungen. Viele ArbeitnehmerInnen würden sich nur für ein bis drei Tage in ihrem Betrieb krank melden. In der Regel brauchen sie dafür kein ärztliches Attest. Hat ein Arbeitgeber allerdings den Verdacht, daß ein Angestellter krankfeiert, so darf er bereits seit 1994 ab dem ersten Tag ein Attest verlangen.

Nach einer Statistik des Bundesgesundheitsministeriums waren 26 Prozent aller Arbeitsunfähigkeitsfälle 1991 solche Kurzzeiterkrankungen. Erkrankte ein Arbeitnehmer dreimal in dem Jahr, so taucht er auch dreimal in dieser Fallzahl auf. Geht man jedoch vom Gesamtvolumen aller Arbeitsunfähigkeitstage aus – und die muß der Arbeitgeber Tag für Tag mit barem Geld bezahlen –, so sind Kurzzeitkranke nur mit 3,65 Prozent vertreten. Rund 70 Prozent aller Arbeitsunfähigkeitstage entfallen dagegen auf ArbeitnehmerInnen, die länger als zwei Wochen krank sind. Diese Zahlen hätten sich, so ein Sprecher des Gesundheitsministeriums, in den vergangenen Jahren nicht gravierend verändert.

Daß alle, die sich zwei oder drei Tage krank melden, per se blaumachen, bestreiten Gesundheitsexperten. In der Fachliteratur wird darauf hingewiesen, daß Kurzzeiterkrankungen ein Sicherheitsventil für die Gesundheit sein können. Immerhin, so Erika Zoike vom Bundesverband der Betriebskrankenkassen, könne so einer ernsteren und längeren Erkrankung vorgebeugt werden. Letztlich senken Kurzzeiterkrankungen also den Krankenstand.