piwik no script img

Eine massive und neutrale Leere

■ Auf dem Wiener Judenplatz soll Rachel Whiteread ein Mahnmal für die ermordeten Juden Österreichs realisieren

Die Bundeshauptstadt Wien verfolgt seit rund einem Jahr ein ehrgeiziges Projekt. Anders als in Berlin, wo die Streitigkeiten um das noch zu errichtende „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ nicht abreißen, war man sich hierzulande fünfzig Jahre nach Ende des NS-Regimes rasch einig über die Notwendigkeit einer Gedenkstätte für die 65.000 ermordeten Juden Österreichs.

Simon Wiesenthal, der Vorsitzende des Dokumentationszentrums des Bundes jüdischer Verfolgter des Naziregimes, regte im Jahr der großen Gedenkfeierlichkeiten zu diesem Vorhaben an, worauf der Architekt Hans Hollein mit der Organisation betraut wurde. Während man in Berlin mit einem ausgeschriebenen Wettbewerb und über fünfhundert Einsendungen das Preisgericht überforderte, entschloß man sich in Wien, lediglich neun Künstler von unterschiedlicher Nationalität, Konfession und Geschlecht – wie die Wiener Stadträtin für Kultur, Ursula Pasterk, im Vorwort des Begleitkatalogs hervorhebt – zu einem Symposium einzuladen. An Ort und Stelle unterbreitete man ihnen die Vorstellungen für ein Denkmal, zu deren Realisierung den Teilnehmern gut zwei Monate Zeit gelassen wurde. Ende Januar präsentierten die Künstler dann ihre Resultate. Mit der Enthüllung des bis dahin realisierten „Gewinner“-Projekts will man am 9. November diesen Jahres, zum 58. Jahrestag der Reichspogromnacht, das Projekt abschließen.

Die Jury, darunter Ausstellungsmacher wie Harald Szeemann aus Zürich, Robert Storr aus New York und Amnon Barzel aus Berlin, entschied sich einstimmig für „Down side up and inside out“, den Entwurf der britischen Bildhauerin Rachel Whiteread. Die in England vor drei Jahren mit dem hochdotierten Turner-Preis ausgezeichnete Whiteread hat in ihrem Entwurf nicht nur den Sinngehalt des Mahnmals optimal umgesetzt, sondern auch dessen spezifischen Ort im Stadtraum berücksichtigt.

Die 1963 in London geborene Britin will einen in hellgrau getünchten, massiven Betonkubus (zehn mal sieben Meter und 3,8 Meter hoch) bauen, der auf einer opaken Glasplatte steht. Die beiden Längsseiten und die schmale Rückwand sind mit stilisierten Büchern aus Betongemisch eng bestückt. Auf der Vorderseite werden die Buchreihen weitergeführt, doch umfassen sie hier eine geschlossene Flügeltür. Der Betonkoloß läßt unweigerlich an einen monumentalen Sarkophag mit gefächerten Wänden denken. Bei näherer Betrachtung sieht man sich allerdings mit einer Bibliothek konfrontiert, deren Inneres nach außen gekehrt ist. Die Buchrücken und ihre Titel bleiben unkenntlich.

Das Konzept greift auf eine alte Tradition zurück: Bereits Michelangelo arbeitete für die Gestaltung der Florentiner Laurenziana nach einem vergleichbaren Prinzip, indem er Stilmittel zeitgenössischer Exterieurs nach innen kehrte. Sucht man einen Anknüpfungspunkt in jüngerer Zeit, so stehen die Arbeiten Whitereads den Werken von Bruce Nauman nahe. Mit der Installation „Abguß des Raumes unter meinem Stuhl“ (1965–68) beispielsweise, erfaßte auch Nauman seine Umgebung im Umkehrverfahren.

Ähnlich wie das Denkmal von Micha Ullman auf dem August- Bebel-Platz in Berlin, das an die Bücherverbrennung von 1933 gemahnt, konzentriert sich auch das Konzept des preisgekrönten Wiener Entwurfs auf Buch, Schrift und Sprache als Medien. Die Bücher aber besitzen eine unzuordenbare Neutralität, ohne nähere Angaben werden sie zu anonymen Objekten. Die äußerlich leicht zu identifizierende Form hat dabei symbolischen Charakter: das jüdische Volk als „Volk des Buches“. Assoziativ stehen die unverrückbaren, leeren Seiten für die zahllosen Ermordeten, von denen man bei einem Großteil nicht einmal die Namen mehr kennt. Trotzdem bleibt selbst in der Reduktion ein Zeichen für den im Medium der Schrift über zweitausend Jahre konservierten jüdischen Glauben erhalten. In Berlin sind es leere Etageren, die in der Versenkung stehen, in Wien werden es „entleerte“ Bücher sein, die einen nicht betretbaren Raum ummanteln und auf die Leere hindeuten, die die Ermordung von abertausend Menschen hinterlassen hat.

Das Programm von Rachel Whiteread ist schlüssig. Durch die kompakte Wuchtigkeit, die ästhetisch neutral bleibt und doch wegen des Volumens irritiert, scheint die provozierende Installation allerdings schon vor der Realisierung gefährdet. Nachdem bereits Unterschriften gegen das mögliche Denkmal gesammelt wurden, will sich am 21. April eine Bürgerversammlung über den unverrückbaren Klotz beraten.

Errichtet wird „Down side up and inside out“ auf dem rechteckigen Judenplatz im ersten Wiener Gemeindebezirk, an dessen anderem Ende das klassizistische Denkmal des Dichterfürsten Lessing steht. Für die Ortswahl gibt es archäologische Gründe: Mit dem Mahnmal soll ebenso einer Synagoge gedacht werden, die im Jahre 1421 einem Pogrom zum Opfer gefallen war. Sowohl der Aufgang zum Thoraschrein als auch die Grundmauern dieser „abgetragenen“ Synagoge sind erst vor kurzem bei Grabungen entdeckt worden. Nun soll sich der Kontext vor Ort aus dem Zusammenspiel mit den historischen Funden ergeben.

Bis zum 28. April zeigt das Kunstforum im Wiener Messepalast in einer kleinen Ausstellung alle Entwürfe, darunter Arbeiten von Architekten wie Peter Eisenman aus New York und dem in Tel Aviv ansässigen Zvi Hecker. Als Bildhauer waren beispielsweise Karl Prantl und Heimo Zobernig aus Österreich am Wettbewerb beteiligt. Besonders interessant sind jedoch die nicht realisierten Arbeiten von Valie Export, deren „Passage des Erinnerns“, eine Installation aus zwei unregelmäßig aneinandergelehnten Platten, an Richard Serra erinnert, oder der begrünte und von drei Seiten begehbare Graben von Ilya Kabakov. Beide Entwürfe transportieren ihre Botschaft vom Dialog mit der Geschichte nicht weniger eindringlich, vielleicht aber sehr viel sinnlicher. Auch das wäre ein Auftrag gewesen, schließlich ergibt sich das Gedenken nicht aus der Gleichgültigkeit gegenüber dem Objekt. Anja Helmbrecht

Die Entwürfe werden bis 28. 4. im Wiener Messepalast, Halle F 1, gezeigt. Ein Katalog ist im folio Verlag erschienen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen