„Der spricht mir das Existenzrecht ab“

■ Harte Strafe für jungen Autonomen, der Neo-Nazi-Anwalt Rieger verprügelte

Mit so einem harten Urteil hatte niemand gerechnet: Wegen schwerer Körperverletzung verurteilte gestern das Hamburger Landgericht den 22jährigen Armin G. zu einem Jahr und drei Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung. Das Gericht sah es als erwiesen an, daß der zur autonomen Szene gehörende Student den Neo-Nazi-Anwalt Jürgen Rieger im August 1995 gemeinsam mit vier weiteren unbekannten Tätern verprügelte.

Es sei eine „gemeine Tat“ gewesen, die von einem „erheblich feigen Charakter“ zeuge, so Richter Steinmann in seiner mündlichen Urteilsbegründung. Er sei überzeugt, daß es „sich nicht um eine spontane Tat“ handle. Die ungewöhnliche Härte seines Urteils gegründete der Richter damit, daß das Ausmaß der Gewalt auch lebensgefährdend hätte sein können. Rieger hatte Prellungen, eine Kopfplatzwunde und einen gesplitterten Fingerknochen erlitten.

Das Gericht folgte weitestgehend der Staatsanwaltschaft, die 18 Monate ohne Bewährung gefordert hatte. Armin G. bereue seine Tat nicht, zudem müßten „generalpräventive Aspekte“ gegen die autonome Szene berücksichtigt werden: „Wehret den Anfängen“, nutzte Staatsanwalt Michael Kikwitzki den Mahnruf der linken Friedensbewegung zur Verteidigung der Rechte der Rechten.

Unstrittig war während der sechsstündigen Hauptverhandlung, daß Armin G. den rechten Staranwalt Rieger mit einem Holzknüppel geschlagen hat. „Ich war es, und ich stehe zu der Tat“, sagte der 22jährige gestern aus. Nach einem Prozeß gegen die Betreiber des rechtsradikalen „Nationalen Info-Telefons“ am 30. August 1995, in dem Rieger als Verteidiger auftrat, sei er durchgedreht. „Als ich Jürgen Rieger an diesem Tag sah, diesen Mann, der soviel Haß verbreitet und der mir das Existenzrecht abspricht, kamen in mir die rassistischen Erlebnisse der letzten 21 Jahre hoch“, berichtet der gebürtige Berliner persischer Herkunft, der erst seit kurzem einen deutschen Paß besitzt. Er sei aber prinzipiell gegen Gewalt.

„Ich wunderte mich über die Dummheit dieser Person“, sagte ein Rechtsanwalt aus, der den Vorfall beobachtete. „Sein Fluchtinstinkt schien nicht zu funktionieren.“ Während die vier anderen Täter wegliefen, hätte Armin G. offenbar gar nicht gemerkt, daß eine Menschenmenge sich um ihn herum sammelte. Er schlug weiter.

Armin G.s Verteidiger, Michael Nitschke, will in Berufung gehen. Zum einen sei die gerichtliche Argumentation, daß Rieger auch schwerer hätte verletzt werden können – was objektiv nicht geschah – „rechtlich falsch“. Es zähle nur, was auch passiert sei. Zum anderen sei eine Bewährungsstrafe angemessen, da keine Wiederholungsgefahr bestünde. Bis zur Berufungsverhandlung bleibt Armin G. auf freiem Fuß. Silke Mertins