„Ich muß doch leben“

Bernard Mayo wäre niemals aus Zaire weggegangen. Aber Diktator Mobutu fand seine Karikaturen gar nicht lustig  ■ Von Thorsten Schmitz

An die erste Zensur in seinem Leben erinnert sich Bernard Mayo mit einem Funkeln in den Augen. Und lacht.

Damals ging er gerade mal in die dritte Klasse. Der Unterricht langweilte ihn, den Lehrer haßte er – mit spitzer Feder bewältigte er seinen Frust. Tintenblau kritzelte er eine zeternde Fratze in sein Schulheft: das Gesicht des Lehrers. Der allerdings beschlagnahmte das böse Portrait und präsentierte es Bernards Eltern. Sie schimpften mit dem Lümmel und schlugen ihn sogar.

Es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein, daß Bernard Mayo mit seiner Malkunst Unfrieden stiftete. Darüber kann er nicht lachen.

Nach der Schule studierte Mayo in Zaires Haupstadt Kinshasa Literatur, Journalistik und Kunst. Die Kunst berauschte ihn, aber festlegen wollte er sich nicht. So schrieb er als Autor für mehrere Zeitungen, zeichnete als Werbegrafiker und als Karikaturist. „Viele Menschen in Zaire wissen nichts über Politik“, sagt Mayo, 31. „Meine Karikaturen sollten klar machen, was Demokratie ist und was Diktatur.“ Er zeichnete einen fettleibigen und furzenden Diktator, kostümiert als Stammeshäuptling, der immer wieder betont, wie frei Zaire doch sei – und dabei das Volk in Fesseln gefangenhält. „Eine Karikatur“, ist Mayos Devise, „darf nicht zeigen, was ein Politiker sagt, sondern was er dabei denkt.“

Die Lust am provokanten Strich und am ehrlichen Wort wurde Mayo zum Verhängnis. Diktatoren haben keinen Humor, schon gar nicht Afrikas dienstältester, Mobutu Sésé Séko. Innerhalb von 31 Jahren installierte der fellbemützte Regent in Zaire eines der korruptesten Regime Afrikas. „Die Regierung hat mich nicht ertragen“, sagt Mayo. „Es ist sehr gefährlich in Afrika, ehrlich zu sein.“ Das ist harmlos formuliert. Mayo hat die Hölle hinter sich.

Eines Tages, er saß gerade in seinem Büro, kamen drei Männer in Zivil und sagten, ihr „Chef“ wolle mit Mayo „reden“. Mayo vermutete ein Geschäftsgespräch, zog sein Jackett an, packte ein paar Skizzen und Karikaturen in seinen Aktenkoffer – und wurde im Auto entführt. Drei Tage lang hielt ihn der zairische Geheimdienst irgendwo in Kinshasa gefangen, Mayo wurde auch gefoltert. Die Mobutu-Agenten hatten das Buch-Manuskript über das „Profil eines Diktators“ auf Kinshasas Hauptpost abgefangen, Mayo wollte es in Frankreich veröffentlichen lassen. Erst die Karikaturen, jetzt auch noch das Manuskript – Mobutu wollte den Meuterer Mayo loswerden.

Über die Folter spricht Bernard Mayo ungern. Seine Familie will er nicht „meinetwegen in Gefahr bringen“. Wie es ihnen geht, weiß er seit zwei Jahren nicht mehr, er kann ja nicht anrufen, auch nicht schreiben. Außerdem möchte Mayo nicht, daß sich die Bilder der Folter in ihm festsetzen und ihn lähmen. Er ist sie doch gerade erst losgeworden. „Ich darf nicht zuviel an die Vergangenheit denken, ich muß doch leben“, sagt er fast trotzig. „Ich habe fast mein ganzes Leben verloren.“

Innerhalb von zwei Stunden mußte er die Heimat verlassen, das macht Mayo noch heute fassungslos. Die Geheimpolizisten hatten ihm signalisiert: Wenn du nicht sofort verschwindest, dann lassen wir dich verschwinden. Noch nicht mal tschüs sagen konnte er seinen Eltern, ein „Alptraum“. Er rief einen Freund an im benachbarten Kongo und konnte dort, in Brazzaville, zwei Wochen unterschlüpfen. Mayo war „k.o.“, als er wenig später, im Januar 1993, nachts mit dem Aktenkoffer in Berlin ankam. Zum ersten Mal in seinem Leben befand sich Mayo im Ausland – und dann auch noch unfreiwillig: „Ich wäre nie aus Zaire weggegangen.“

Berlin wollte er nur passieren, nur ja nicht bleiben. Die Stadt war wie ausgestorben, und niemand sprach Französisch. Ein Polizist, der noch nicht mal Englisch verstand, war der erste Deutsche, den Mayo „kennenlernte“. Es drängte ihn nach Paris, wo viele Afrikaner leben, wo er nicht erst eine neue Sprache lernen mußte. Er blieb dann aber doch, wieder unfreiwillig. Denn er hatte kein Geld fürs Bahnticket nach Paris. So lernte er Deutsch – mit Micky- Maus-Heften. Er wollte auf der Anhörung zum Asylbegehren alles verstehen – und verstanden werden. Jetzt hat er eine Aufenthaltsgenehmigung, er spricht ziemlich perfekt Deutsch.

Und sitzt in seiner Zweizimmerwohnung mit Balkon in Berlin-Gropiusstadt, wo Christiane F. aufwuchs und man die Vögel zwitschern hört. Zwei Sessel, ein Klappbett, eine Schrankwand, ein Campingtisch – karg hat sich Mayo im Südwesten der Stadt eingerichtet. Als sei er noch nicht angekommen. Oder bereit, jederzeit wieder nach Zaire zu fliegen. Vom fünften Stock aus sieht er ganz viel Himmel.

An den Wänden hängen abstrakte Ölbilder, im Wohnzimmerschrank liegen gegenständliche, die den Alltag in Zaire illustrieren. Karikaturen hat er seit seiner Ankunft in Deutschland nicht mehr gemalt, ein später Sieg von Mobutu: „Ich habe keine Lust auf politische Kunst, es interessiert mich überhaupt nicht mehr.“ Die abstrakten Bilder gefallen ihm zur Zeit am besten, kubische Körper, die sich umschlingen oder würgen oder lieben, in vielen Rottönen und wenig blauen. Die gegenständlichen, naiven Alltagsimpressionen sind eine Antwort auf die immer gleichen Fragen, die die Deutschen ihm stellen: Wie lebt man in Zaire?

Der einfach nur schönen Kunst ist Mayo treu geblieben, sie hält ihn am Leben. Er spielt Musik, stellt seine Bilder aus, absolviert eine Umschulung zum Multimedia-Grafiker – und er schreibt Gedichte. Für sich. In ihnen wird er den Schmerz los, der in ihm bohrt: die Sehnsucht nach Kinshasa.

Bernard Mayo ist ganz zufrieden, jetzt, wo er sich nicht mehr im Zimmer einschließen muß, weil ihn der Alltag im Asylwohnheim so deprimiert. Er hat eine Wohnung für sich ganz alleine, sehr gute deutsche Freunde und afrikanische – und viel Zeit an den Abenden. Die braucht er, um zu „denken“.

An die Heimat. Wer weiß, ob er je noch mal nach Zaire kommt.