Die Alten

Die Alten

Ein tristes Kapitel, die Alten.

Können sich nichts merken, nichts halten,

haben bei allem, was sie tun Beschwerden

warum mußten sie so alt werden?

„Jetzt müssen wir nur noch einen großen Schritt

machen, dann sind wir auf dem Bürgersteig.“

„Ich schaffs nicht, ich schaffs nicht. Diese

verdammten Beine!“ „Natürlich schaffen wir es!“

Wem kann denn das Altwerden nützen?

Der Alte braucht Stöcke, braucht Stützen,

braucht Hilfe in allen Dingen –

wer soll soviel Einsatz erbringen?

„Ich werde die beiden nie vergessen. Die eine,

im Rollstuhl, klagte in einem fort: Ich will nicht mehr,

ich will nicht mehr!“ Und die andere, schiebend,

korrespondierte: „Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr!“

„Verwandte von Ihnen?“ „Gottseidank nein!“

Wie sich die Alten ans Leben klammern!

Kletten gleich, aber Kletten, die jammern,

bleiben sie derart hartnäckig auf Erden,

daß auch die Jungen darüber alt werden.

„Die Amerikaner haben ein sehr treffendes Wort dafür:

Vegetable. Denken, fühlen, handeln – alles stillgelegt.

Die Frau ist seit vier Jahren nichts weiter als ein Durchgang:

bewußtlos, gefühllos, seelenlos. Just vegetable.“

„Reden wir noch immer von Ihrer Frau Mutter?“ „Leider ja.“

Die Alten lehren die Jungen:

So wird mal mit euch umgesprungen.

Mögt ihr euch noch so gut halten –

eines Tages seid ihr die Alten.

„So, jetzt hören wir brav mit dem Dichten auf und

legen uns wieder hin. Aber vorher muß ich noch einen

Schluß finden. Das Gedicht hat doch noch gar keinen Schluß!“

„Um den Schluß brauchen wir uns doch keine Sorgen zu machen!

Der findet sich! Der findet schon von ganz, ganz alleine, der Schluß!“Robert Gernhardt