Tumor-Daten auf der Spur

■ Krebs-Leitstelle archiviert bereits klinisch / Krebsregistergesetz noch 1996?

Wieviele Menschen mit Lungenkrebs gibt es in Gröpelingen? Treten im Landkreis Unterweser verstärkt Leukämie-Erkrankungen auf? Das sind Fragen, die theoretisch schon heute beantwortet werden könnten. Zwar hat Bremen noch kein Krebsregister – erst ab Anfang 1999 schreibt es der Bund den Ländern zwingend vor. Doch schon jetzt existiert ein Datenpool zu den Krebserkrankungen in der Hansestadt: die Tumordokumentations- und Nachsorgeleitstelle der Bremer Krebsgesellschaft. Gestern blickten die beteiligten Ärzte auf fünf Jahre Erfassungsarbeit zurück.

„Doch der Blick auf die Risikofaktoren und Krebsursachen ist nicht unser Thema“, betonte Professor Doktor Herbert Rasche in seiner Funktion als geschäftsführender Arzt der Bremer Krebs-Leitstelle. Die Bremer ÄrztInnen wollen ein rein klinisches, patientenorientiertes Krebsregister aufbauen, das ausschließlich Krankheitsverläufe dokumentiert. „Mehr ist uns auch gar nicht erlaubt“, so Rasche. Persönliche Daten dürfen nicht verwendet werden. Die Bremer Datenschutzbeauftragten wachen darüber, daß die Krebs-Leitstelle ihre Kartei nur mit Einwilligung der PatientInnen führt. Die staatlich angestrebten Krebsregister dagegen werden mit einer Meldepflicht arbeiten. Eine Vertrauensstelle wird dann erst hinterher die Daten wieder anonymisieren.

Bremens MedizinerInnen haben sich also mit der Leitstelle auf das Ziel „Verbesserung von Krebsbehandlungen und ihre Nachsorge“ zurückgezogen. Diagnose, Therapie und Verlauf jeder Erkrankung wird dokumentiert – jede/r behandelnde ÄrztIn erfaßt die Daten, diese gehen automatisch an die Leitstelle und alle mitbehandelnden KollegInnen. „Es ist schon bemerkenswert, daß das überhaupt funktioniert“, gestand Herbert Rasche gestern. Nur fünfzig Prozent der PatientInnen lehnten die Archivierung ihrer Daten ab.

Über 9.000 krebskranke Menschen sind in Bremen inzwischen erfaßt. Über 5.000 Krankheitsberichte gingen allein letztes Jahr bei der Krebs-Leitstelle ein. Auch die PatientInnen versprechen sich laut Dr. Rasche mehr Effizienz. „Wir müssen doch weg vom Schema F und die Leute nicht alle halbe Jahr zum Röntgen schicken.“

Rasche ist auch Direktor der Klinik für Innere Medizin im Krankenhaus Sankt-Jürgen. Er arbeitet zusammen mit rund 600 KollegInnen der Leitstelle und deren drei festangestellten Mitarbeiterinnen ehrenamtlich zu. FachärztInnen, Kliniken und niedergelassene ÄrztInnen stellen ihren Sachverstand zur Verfügung, tauschen sich aus, diskutieren komplizierte Fälle, besuchen Fortbildungen. Doch ebenso viele verweigern bis heute ihre Mitarbeit – es gibt Vorbehalte im KollegInnenkreis. Man argumentiert mit dem zusätzlichen Arbeitsaufwand, befürchtet eine Bevormundung.

„Standardisierung heißt aber nicht, daß wir nicht mehr individuell behandeln“, kontert Rasche. „Wir wollen nur unnötigen Ballast wie gedoppelte technische Untersuchungen loswerden. Vielleicht sind dann ja sogar mehr Arztgespräche nötig und möglich.“ Die Krankenkassen werde dies dann nicht unbedingt billiger kommen – dennoch unterstützen sie die Nachsorgeleitstelle ideel und finanziell. Deren Jahresetat von 320.000 Mark wird seit Januar '96 zudem von der Krebsgesellschaft, der Kassenärztlichen Vereinigung und der Ärztekammer getragen.

Selbst das Gesundheitsressort hat die Inbetriebnahme der Leitstelle 1991 mit angeschoben. Gegen das Krebsregistergesetz hat sich dagegen der Gesundheitssenator zunächst vehement gesträubt. Nun ist der Gesetzesentwurf mit den Datenschützern gemeinsam erarbeitet und soll nach der Sommerpause auf den parlamentarischen Weg gehen. sip