Frühling Von Martin Sonneborn

Es ist: Frühling! Beziehungsweise „Der Lenz dreht auf“ (Bild). Jubilieren möchte man, trinken, singen! Der Frühling! Hossa! Die Sonne! Hossa! „Herr Ober, sechs Schoppen Wein! Hossa!“ Apropos: „Was sind für einen Sänger schon sechs Schoppen Wein?“ Eine interessante Frage. Vor Gericht hat sie erstmals der Anwalt von Rex Gildo aufgebracht. Rex Gildo, dem Sänger. Vorausgegangen war dessen legendärer Auftritt beim Betriebsfest eines wackeren Wäscheversandhauses. Wenn Wäscheversandhäuser feiern, dann wird bekanntlich aufgedreht! Oho! Kein Auge bleibt da trocken, kein Schoppen ungeküßt, kein Sänger ganz nüchtern. Und daß Gildo kein Sänger wär'! Nach dem Genuß von „höchstens sechs Vierteln“ soll er dann zu seinem Sange getorkelt sein, hier bzw. da in seine Verstärker gepoltert; und auch die Klarheit seiner Aussprache während der Aufrappelphasen – unerbittliches Halbplayback! – wurde Gegenstand bitterlichster Klage.

Dabei: Was sind für einen Sänger schon sechs Schoppen Wein? Schlappe anderthalb Liter anregenden Rebensaftes? Womöglich. Oder aber auch – wie der Kläger formulierte – „zwei Liter Riesling, zwei Viertel eines schweren Rotweins und eine Flasche Bier“. Nun, wer unter uns vermöchte sich hier ein Urteil anzumaßen...

Der Frühling! Auf der Frankfurter Zeil flanieren schon Paare in identischen Trainingsanzügen, gutgelaunte Punks bitten höflich um geringe Beiträge zur „Aktion Sorgenpunk“; flotte Jungmänner flöten anzüglich herrlichen Damen hinterher, drehen sich um und knallen in vollbesetzte Fahrradständer. Musikalisch wird solch frühlingshaft-törichtes Tun angemessen begleitet von: Sepp Gussmann – dem Rex Gildo der Blasmusik! – sowie seinem wahnsinnig gewordenen Blasorchester. Prächtig anzusehen vor ihrem drohlichen Werbeaufkleber „Komm mit Sepp Gussmann zur Bundesgartenschau 1986!“ intonieren diese Rabauken straßenmittig wundersame Weisen, um nicht zu sagen, klebrigen musikalischen Unfug, den auch seine erbarmungslosen Schöpfer selbst nur mit heimlicher Apfelkornunterstützung ertragen. Sechs Schoppen pro Nase? Möglicherweise – was sind schon sechs Schoppen Apfelkorn für einen von Sepp Gusmanns Mannen? Noch dazu im Frühling! Dieser voll beliebten Superzeit, in welcher Herr Pehle früher immer seinen Kühlschrank wieder zum Leben erweckte: Käse, Quark und Milch durften dann vom äußeren Fenstersims, auf dem sie aus Kostengründen zu überwintern pflegten, zurück in die Wohnung. Butter wurde neu hinzugekauft; ihr Fluchtversuch, in der Sonne schmelzend die Regenrinne zu erreichen, war ja jährlich dem Sparsamen erst Aufforderung zu entschlossenem Handeln.

Ach ja, der: Frühling! Leibarzt Dr. Lauxtermann ist's – wer sonst! –, der mitgeht in die Äppelwoischenke Germania, die aufdrehende Jahreszeit zu ehren. „Herr Ober! Zwei Liter Riesling, zwei Viertel eines schweren Rotweins und eine Flasche Bier; aber hossa, es pressiert.“ Alkoholkontrollen schrecken uns nicht: „Natürlich“, werden wir im Chor entgegnen, „aber nur sechs Schoppen Wein, wir sind Sänger.“ Außerdem: Torkelt und lallt denn nicht die komplette Gesamtnatur, inklusive Sepp Gussmann, in dieser herrlichsten Jahreszeit?!