Wirkt fremd, wie Science-fiction

Als die Kosmonauten schwebten, fuhren in Moskau Panzer auf – der Dok-Film „Out of the Present“  ■ Von Bettina Allamoda

Nach seinem spektakulären Weltraumrekord von 309 Tagen Aufenthalt auf der russischen Raumfahrtstation MIR (Frieden), der den Zerfall der Sowjetunion überdauerte, stand Sergej Krikaljow bereits im Juni 1992 auf der Internationalen Luft-und Raumfahrtausstellung (ILA) in Berlin-Grünau. Neben dem ersten „Fliegerkosmonaut“ der DDR, Dr. Sigmund Jähn, signierte er schüchtern Autogrammkarten am Stand der DLR (Deutsche Forschungsanstalt der Luft- und Raumfahrt e. V.). Heute ist er bei der Nasa für das Atlantis-MIR-Projekt angestellt.

Und jeder Kratzer ist erkennbar

Der gebürtige Rumäne André Ujica umkreist in seinem von Daimler-Benz Aerospace gesponserten Film „Out of the Present“ in etwa 92 Minuten – der Dauer einer Erdballumdrehung der Raumstation MIR – diese letzte Zeitreise in der Geschichte der russischen Kosmonautik. Sie beginnt mit einer Kamerafahrt, die langsam an die heute 10 Jahre alte Raumstation „andockt“. Durch das vergilbte und abgenutzte Gerüst der Modularkonstruktion von MIR, auf der jeder Kratzer erkennbar scheint, blickt man auf die 400 Kilometer entfernte Erdoberfläche. Da eine solche Einstellung noch nie mit einer 35mm-Kamera in Realzeit gedreht worden ist, wirkt sie eher wie eine Montage oder einem Science- fiction-Film entnommen, jedenfalls fremd. Anschließend verfolgen Aufnahmen, die von Sergeij Krikaljow und den Kosmonauten selbst gefilmt wurden, wie Licht und Schatten mit jeder Umdrehung alle 45 Minuten wechseln. Dieses eher privat wirkende Material, das den Archiven der russischen Raumfahrtbehörde entstammt, wurde zum ersten Mal für „Out of the Present“ aus 300 Stunden des 10monatigen Aufenthalts auf der Kosmosstation zusammengestellt.

Obwohl zwei Drittel der Dokumentation aus Arbeitsexperimenten bestehen, werden diese Bilder kaum gezeigt. Manchmal sieht man Krikaljow oder einen österreichischen Gastastronauten für medizinische Tests auf Fließbändern joggen, ansonsten bleibt alles spacig und schwerelos. Dies war auch der grundlegende Kritikpunkt, den Krikaljow selbst an seinem Film hatte: Der schwere Arbeitseinsatz der Kosmonauten sei nicht genügend repräsentiert. Schnitt: Irgendwann tauchen im August 1991 Panzerbrigaden zur Hauptverkehrszeit in Moskau auf, die sich geduldig den Ampelschaltungen unterordnen. Sie gehören zum Putsch, der zeitgleich mit der Mission im Weltall auf der Erde stattfand. André Ujica hat dafür ausschließlich Videoaufnahmen von russischen Amateurfilmern und nichtverwendetes Fernsehmaterial montiert.

Unfreiwilliger Held im Guinness-Buch

Etwas irreführend heißt es dazu im Pressetext: „Die Chronik des MIR-Aufenhaltes wird nur einmal für eine Rekonstruktion der Putschtage unterbrochen.“ Gezeigt werden statt dessen „10 Minuten Geschichte und 80 Minuten Kosmos“.

Was unten passierte, hatte trotzdem Auswirkungen. Wegen der sich wandelnden politischen Verhältnisse und dem anschließenden Kurswechsel in der Raumfahrtpolitik wurde der kasachische Forschungskosmonaut Toktar Aubakirow ins All geschickt.

Statt der vorgesehenen Ablösung bekam die MIR-Besatzung einen Botschafter der nun unabhängigen Sowjetrepublik, der lieber mit Spielzeugflugzeugen hantierte, als den Genossen zur Hand zu gehen. Er wäre auch gar nicht dafür ausgebildet gewesen. Auch das zeigt der Film: Der Mythos der vergessenen Station war nichts weiter als Fehlplanung – und Bordingenieur Krikaljow mußte unfreiwillig ein Held für das Guinness- Buch der Rekorde werden (taz, 18. und 20. 3. 1992).

„Seit es Video gibt, wird auch im Kosmos gefilmt, mit Betacam, Hi-8, mit Kontollkameras und U-Matic“, plauderte Ujica zur Premiere über den Stand der Aufnahmetechnik: „Transportkosten von 2.000 US-Dollar pro Gramm machten es bisher unmöglich, eine Filmkamera an Bord zu nehmen.“ Immerhin geht es um bald 40 Kilo sperrigen Gepäcks. Aus Interesse an dem Projekt und der Überlegung, doch wie die Amerikaner über 35mm-Filmdokumente verfügen zu können, willigte die Raumfahrtbehörde nach allerlei Meetings ein, drei Einstellungen unter der Regie von Ujica filmen zu lassen: Andocken, Umkreisen der Station und Abflug. Das Ganze hatte nur ein Problem – beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre verglühte die Apparatur.

Trotzdem kann das Experiment nicht mit der Technologie der Nasa mithalten: Bei den Filmen der kanadischen Firma Imax- und Omnimax, „Der Blaue Planet“ (1991) und „The Dream is Alive“ von 1992, wurde Filmmaterial der zehnfachen Größe herkömmlicher 35-mm-Kameras auf den Flügen des Spaceshuttle verwendet.

Diese Bilder werden in erster Linie für den kommerziellen Vertrieb in den eigens dafür konstruierten Großkinos genutzt. Der Imax-Filmproduzent Brad Ferguson führte vom Kommandopult der Bodenstation in Houston, Texas, aus Regie. Anstelle einer solchen Inszenierung, die das Weltall als unerklärliches Wunder präsentiert, zeigt „Out of the Present“ die Praxis und Erfahrung der ersten Weltraumspaziergänger in einer ihnen vertrauten Umgebung, wie unter Freunden. Der Film macht nicht einmal von der russischen Raumfahrttradition Gebrauch, die immerhin bis zur Hündin Laijka oder Gagarin, den ersten Menschen im All, zurückreicht. So wirkt selbst der gemeinsame Aufbruch der Kosmonauten vom Sternenstädtchen Swjosdny Gorodok zum Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan wie ein Abschied unter Freunden vor einer langen Reise.

Am Ende dann, zurück auf der Erde, sieht alles wie in einem hypermilitärischen Kreißsaal aus: Hubschrauber bewachen den Landeplatz, hochrangige Militärs bringen Blümchen und Schnaps. Kurz nach dem Aufprall ihrer Kapsel in der kasachischen Steppe blicken die KosmonautInnen wie neugeborene Babies drein. Zum Empfang stehen Liegestühle mit Wolldecken bereit. Schließlich hat Krikaljow da oben alle 45 Minuten die Sonne auf- und untergehen sehen. Das macht ihn bald 16 Jahre älter, wie den alten Mann aus Kubricks „Space Odyssee“. Die Revolution war da nur eine kleine Zeitverschiebung unter vielen.

„Out of the Present“. Regie: André Uijca, Deutschland 1995, 35mm, 96 Minuten