All die Königsmänner

Das Rathaus hat (k)ein Problem: In „City Hall“ wird eine Stadtverwaltung zur Arena, und das nicht immer geschmacksecht. Großer Bahnhof für Al Pacino als Bürgermeister Pappas  ■ Von Mariam Niroumand

Daß Kommunalpolitik dramatischen Stoff abwerfen könnte, bezweifelten schon die meisten Rezensenten von Martin Walsers Beamtenroman „Finks Krieg“. Entsprechend scheute der deutsche Verleih von Harold Beckers neuem Film „City Hall“ davor zurück, den Film einfach „Rathaus“ zu nennen. Womöglich hätte man die Zuschauer mit der Vorstellung von Einwohnermeldeamt, Zimmerpalme und Kantine mit vegetarischem Büffet abgeschreckt – Demokratie macht eben irgendwie nicht viel her. Der Regisseur beeilt sich denn auch, die Stadt New York nicht als Verwaltungsbezirk zu zeigen – dem ja immerhin das permanente Wunder gelingt, den Moloch nicht der viel beschrienen Unregierbarkeit und der 2,7-Milliarden-Dollar-Finanzlücke zu überlassen. Unter Becker und seinen drei (!) Drehbuchschreibern, zu denen auch Paul Schrader („Taxi Driver“) gehört, wird New York statt dessen sofort wieder zum Tatort, wie wir ihn kennen: schon regnet es, schon geht ein kleines Kind in Brooklyn seinen normalen Weg zur Schule, schon trifft sich ein Polizist mit einem Mafioso, dann sind Mafioso, Polizist und kleines Kind mausetot – und das Rathaus hat ein Problem.

Zigarren- und Wein- brandhedonismus

Die Politik tritt in „City Hall“ zuallererst als Rhetorik auf den Plan. Bürgermeister John Pappas (Al Pacino) ist modelliert nach den früheren Amtsinhabern Fiorello LaGuardia, Ed Koch, Mario Cuomo und dem amtierenden Rudolph W. Guilani, und tatsächlich hat Pappas sowohl Populismus, einen Hauch Jiddischkait, Zigarren- und Weinbrandhedonismus und gute Beziehungen zum Immobilienmarkt. Pappas weiß, wie man sich einer Witwe nähert; er umarmt die Frau des erschossenen Polizisten Eddie Santos und flüstert ihr ins Ohr: „Die Stadt kümmert sich um ihre Leute.“ Er weiß, wie man den Fall der Presse schildert: „Es gibt nichts Schlimmeres in meinem Leben als Bürgermeister, als den Tod eines Polizisten. Es gibt nichts Schlimmeres in meinem Leben als den Tod eines unschuldigen Kindes.“ Die zwei Körper des Königs, zu Recht geteilt: der Amtsinhaber und der Mensch! Und schließlich besteht Pappas die Feuerprobe eines jeden Redners: Er tritt, ein weißer, griechischstämmiger Repräsentant, in der schwarzen Baptistenkirche vor den Sarg des versehentlich erschossenen Jungen und spricht zu den Menschen wie die Helden Frank Capras in ihren wahrsten Momenten, bis die Gemeinde anfängt, „Yes, Lord“, „right“, „Amen!“ mitzuswingen und schließlich sogar zu klatschen. „Laßt uns“, ruft Pappas bebend und hundertprozentig gefühlsecht, „auf den Flügeln dieses kleinen Engels uns erheben und diese Stadt wieder zu einem Palast machen, ein Palast nicht der Könige und Prinzen, sondern ein Palast der Bürger“ (im Original sagt er „subjects“). Er zitiert wahlweise Perikles, Lyndon B. Johnson oder das Neue Testament. Das Ungewöhnliche an „City Hall“ ist, daß politische Rhetorik hier nicht denunziert, sondern als notwendiger Akt der Schadensbegrenzung präsentiert wird.

Dasselbe gilt für die Korruption: Will Pappas 3.000 Arbeitsplätze, also Wählerstimmen, muß er dem Immobilienboß eine U- Bahn-Station bauen. Will er den Parteitag der Demokraten in der Stadt, muß er den Präsidentschaftskandidaten mit guten und schönen Dingen verwöhnen. Ein deutscher Gegenwartsfilm hätte Pappas wahrscheinlich spätestens an dieser Stelle ein Hitlerbärtchen wachsen lassen. Rhetorik und Machiavellismus, pfui!

Hier begnügt man sich mit einem Korrektiv in Form des jungen Enthusiasten Kevin Calhoun (John Cusack), einem Anwalt aus New Orleans (der einfache Süden korrigiert den städtischen Norden), der Pappas als Assistent zur Seite steht. „Pappas“ heißt der Patendarsteller Pacino hier natürlich nicht umsonst; solange der Sohn noch glaubt, daß der Vater im Recht ist, kann er es auch wirklich sein. Während Pappas also tröstet und erklärt, recherchiert Calhoun und entblättert dabei die berühmte Zwiebel, in deren Innersten das Machtzentrum sitzt, das in den Dreiermord verwickelt ist, das Zentrum des Rathauses...

Zeugen verschwinden, ein Bewährungsbericht wurde ausgetauscht, ein würdevoller alter Richter (Martin Landau, bei dem man nicht vergißt, daß man ihn zuletzt als Bela Lugosi in „Ed Wood“ sah) hat für die Bewährung des Mafioso-Neffen eine Unterschrift geleistet und erklärt erschüttert seine Demission, immer weiter ziehen die Kreise, bis irgendwann einmal die Frage auftaucht, wer eigentlich den Kontakt hergestellt hat zwischen Mafia und Justiz.

„Eine klaustro- phobische Kultur“

Der Film sieht häufig aus wie ein japanisches Aquarell, alle Schattierungen zwischen Taubengrau und Schwarz sind da, es schneit und regnet viel – hier will offensichtlich niemand einfach dem Wahren und Richtigen zum Durchbruch verhelfen. Ganz anders noch als sein Vorgänger „All the King's Men“ (Robert Rossen, 1949), der die Geschichte eines ehrlichen Kleinstadtbürgers erzählt, den der politische Aufstieg zur gemeinen Schweinebacke mutiert, ist hier das Vertrauen in das System erheblich konsolidiert. Checks and balances, so hielt man es und hält man es, da spielt es kaum noch eine Rolle, wer an der Spitze steht. Produzent Ken Lipper, der die erste Fassung des Drehbuchs schrieb, ist ein Rathausintimus. Er war von 1985 bis 1987 Stellvertreter von Ed Koch und davor Investmentexperte. „Das Rathaus“, so erklärt Lipper in den Produktionsnotizen, „ist eine klaustrophobische Kultur, in der Politiker und Wirtschaftsmagnate, Funktionäre und Verbrecher, Freunde und Feinde täglich zusammenstoßen. Diese wie ein inoffizieller Club organisierte Gruppe, deren Zusammenhalt ständig durch forschende Blicke und unerwartete Gefahren bedroht wird, sobald ein einziges Mitglied in den Abgrund gerissen wird, hat ihre eigene Sprache, ihre eigenen Gewohnheiten und ihre ganz speziellen moralischen Prinzipien, die längst von der Gesellschaft abgetrennt sind, der die sogenannten Demokratiebewahrer mehrheitlich dienen sollen.“ Klingt ein bißchen nach „Casino“ und als spräche hier jemand, dessen politische Karriere früher zu Ende war als geplant. Dennoch verhalfen Lippers Kontakte nicht nur zur Dreherlaubnis im Rathaus und an 70 anderen zentralen Schauplätzen New Yorks (nichts ist im Studio gedreht), sondern allen Hauptdarstellern auch zu Gesprächen mit ihren „Vorlagen“: So ließ sich beispielsweise Pacino von Ed Koch und David Dinkins, dem einzigen schwarzen Bürgermeister New Yorks, instruieren und verbrachte einen Tag mit Guilano. Auf diese Weise ist etwas zustande gekommen, was vielleicht nicht ganz so profund recherchiert und gespielt ist wie „Nixon“, aber doch einiges vorlegt für das Genre. Kommunalpolitik rules OK!

City Hall“. Regie: Harold Becker. Buch: Bo Goldman, Nicholas Pileggi, Paul Schrader. Mit Al Pacino, John Cusack, Bridget Fonda, Danny Aiello, Martin Landau u.v.a. USA 1996, 115 Min.