Marcels kleine Weltmuseen

Kunst der Biographie: Das Sprengel-Museum Hannover zeigt Marcel Broodthaers „Editionen, Graphiken und Bücher“  ■ Von Christoph Danelzik-Brüggemann

Nicht immer erreicht Kunst ihre Endkonsumenten frisch vom Erzeuger. Es hat den Anschein, daß der Belgier Marcel Broodthaers (1924–1976) ein Künstler für Künstler ist, ein Ideenfabrikant, der dem Publikum in Deutschland bislang weitgehend unbekannt blieb. Nicht nur Hans Haacke mit einer „Hommage à Marcel Broodthaers“ auf der documenta7, auch andere (etwa Ilya Kabakov, Martin Kippenberger oder Paul McCarthy) entpuppten sich als Broodthaers-Fans, zuletzt 1995 in einer „Korrespondenzen“ betitelten Ausstellung.

„Künstler für Künstler“ – das riecht nach Metakunst und scheint die mangelhafte Präsenz Broodthaers' in hiesigen Museen zu erklären. Welch ein Irrtum, vielleicht beweisen die Künstler in diesem Fall nur besseren Geschmack als Museumsleute. Die vom Sprengel- Museum und von der Städtischen Galerie Göppingen erstellte Schau ist daher heftig zu begrüßen. Sie basiert auf dem als Ausstellungskatalog angebotenen Werkverzeichnis der Editionen, Graphiken und Bücher. Bezeichnenderweise gehören sämtliche Exponate der Galerie Kewenig, Frechen.

Marcel Broodthaers reflektierte über die Kunstszene. Er wußte, daß es für Künstler darauf ankommt, ins Museum zu gelangen. Und das Museum ist eine Art Bank, die symbolisches Kapital in hartes Geld umwandelt und umgekehrt. Den Katalog des Kölner Kunstmarktes 1971 versieht er mit einem Schutzumschlag, auf dem er ankündigt: Museum für moderne Kunst zu verkaufen – wegen Bankrotts. Zwei im folgenden Jahr entstandene Siebdruckblätter („Museum – Museum“) bringen seine Sicht dieser Institution auf den Punkt. In Pop-art-Manier reproduziert jedes Blatt 16mal einen Goldbarren, unterschrieben mit Künstlernamen von Mantegna bis Magritte hier und mit Wirtschaftswerten („Butter“, „Kanone“) da. Das Museum wird auf seine Funktion als Börse reduziert. „Museum – Museum“ schlägt eine Brücke zwischen Warhol und Beuys.

Eine Ausstellung von Broodthaers' Editionen und Papierarbeiten berührt das Zentrum von dessen Kunst. Seit den späten vierziger Jahren arbeitete er als Antiquar und Journalist, entsprechend seiner Vorliebe für Bücher und Texte. 1957 erscheint sein erster Gedichtband „Mon livre d'Ogre“, auch seinen ersten Film dreht er 1957: „La Clef de l'Horloge“ ist Kurt Schwitters gewidmet. Diese Verbundenheit Broodthaers' zu dem Hannoveraner Avantgardisten gibt dem Sprengel-Museum Anlaß zur Ausstellung.

Während der gebürtige Belgier in Paris als freier Journalist arbeitete, entstanden 1963 erste Objekte aus Fundstücken wie Muscheln, Eiern, Kohle, Fotos und so weiter. Ein Jahr später lernt er in Pariser Galerien amerikanische Pop-art kennen. Restexemplare seines Gedichtbandes „Pense Bête“ stellt er in Gips und formt sie zur Skulptur. Seine Objektkunst erweckt bald das Interesse von Kritikern wie Pierre Restany, dem Mentor des „Nouveaux Réalisme“. Doch die Berührungspunkte zu der lockeren Künstlergruppe blieben vage. Zwar arbeitet er wie die meisten der „Réalistes“ mit vorgefundenem Material, doch er möchte nicht den Realismus erneuern oder neu definieren. Seine Kunst ist intellektuell und witzig.

Marcel Broodthaers setzt als Künstler den Weg seiner Jugend fort. 1940 lernte er, 16jährig, René Magritte kennen. Fünf Jahre später knüpft er Kontakte zur „Groupe Surréaliste-révolutionaire“ (unter anderem mit Pol Bury). Broodthaers unterzeichnet das Manifest belgischer Surrealisten „Pas de Quartiers dans la révolution“. Angesichts dieser Vorgeschichte verwundert nicht, daß Broodthaers auch Literatur und Politik als Material benutzt. Später verbindet er Elemente der Pop-art und Konzeptkunst: An die Stelle von Magrittes negativer Tautologie „Ceci n'est pas une pipe“ tritt die Behauptung „Dies ist ein Kunstwerk“ (1970). Das Sichtbare wird sichtbarer und sichtbarlich in Frage gestellt. In einem seiner zahlreichen Manifeste, „BERLIN / ALLES / oder / das Auge des Wirbelsturmes“ (1974), bestimmt Broodthaers seine Position: „Man muß wissen, lieber Leser, daß der Künstler sich mehr für die äußere Welt als für die Kunst selbst interessiert und noch weniger für den Inhalt von Ausstellungen und Museen. Sicher, er tut nur so. Der Künstler ist ungebildet, seine Rolle ist es, so zu tun, als sei er gelehrig. Dank dieses Spiels mißt der Zuschauer durch eine einzigartige Blickwendung die Ereignisse des Tages.“

Insgesamt wurden von Broodthaers 21 Bücher gestaltet, manchmal nur auf ein oder zwei Bögen. Ihre Antiquatypographie und Aufmachung orientieren sich am klassischen Buchdruck, die er mit Collagen oder kleinen Skizzen versieht. So entsteht eine Anleitung „Jeter du poisson sur le marché du Cologne“. An Max Ernst, dem er ebenfalls ein Buch widmet, knüpft Broodthaers durch die Plünderung antiquarischer Illustrationswerke an. Faszinierend, nostalgisch und absurd ist der dreibändige Reisebericht „Eine Reise auf der Nordsee“. Broodthaers spielt mit literarischen Genres, kreiert Nonsens- Systeme zur Naturkunde und Kunst und schreibt unleserliche Gedichte. Er erweist sich als Vorbereiter gegenwärtiger Kunstrichtungen, in denen fiktive Biographien und auf Zeichnungen reduzierte Texte produziert werden.

Seine Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Kunsttheorien und -institutionen macht Broodthaers zwischen 1972 und 1975 öffentlich in der Inszenierung von mehreren Ausstellungen in Belgien, Frankreich, der Schweiz, England und Deutschland, wo er zwischenzeitlich lebte. Quasi vorbereitend gründete er 1968 bereits das „Musée d'Art Moderne, Departement des Aigles“. In den folgenden Jahren äußert sich die Adler-Abteilung wiederholt. Adler- Bilder von der germanischen Fibel bis zum Comicpanel illustrieren eine Folge von „Sechs offenen Briefen Bekanntmachung“, deren Texte sein Leitmotiv variieren: „Jede Ähnlichkeit der Abteilung Adler mit solchen in Museen aller Art ist rein zufällig“ beziehungsweise „existiert nur in der Einbildung“ und „ist ein Ergebnis der Zivilisation“. Nur oberflächlich wirken manche der Arbeiten banal. Vielmehr bietet die Ausstellung einen Zugang zum Broodthaersschen Kosmos. Chaotische Assoziationsknäuel füllen ihn aus wie wandernde Galaxien. Broodthaers mixt Medien und Materialien, Triviales wird sublim und Hehres banal. So funktioniert ein gut sortiertes Gedächtnis.

Bis 5. 5., Sprengel-Museum Hannover, danach 16. 6. bis 21. 7. Städtische Galerie Göppingen