Verzeichnis Lesbarer Bücher

■ Geistige Abrüstung

Kriegsphantasien, zumal solche von einem letzten Kampf von kosmischer Bedeutung, sind in der christlich-abendländischen Kultur etwas Unwiderstehliches. Sich von ihnen zu verabschieden ist schwer, zumal für konstitutiv Ohnmächtige wie Intellektuelle und soziale Randgruppen, denen sie großen narzißtischen Trost bieten.

Die Religionswissenschaftlerin Elaine Pagels aus Princeton zeigt in ihrem neuen Buch, daß die Vorstellung eines solchen Konflikts das Neue Testament durchzieht. Elaine Pagels' Buch über „Satans Ursprung“ ist eine religionswissenschaftliche Studie über die Karriere der Vorstellung eines mächtigen Widersachers, gegen den wir, die „Söhne des Lichts“, uns erheben müssen. Die Autorin schreibt eine Sozialgeschichte des Teufels in den Evangelien und im frühen Christentum.

Wer die Nachrichten verfolgt, wird das Buch auch als Kommentar zu heutigen Konflikten lesen. Pagels zitiert den Kirchenlehrer Origines: „Es ist nicht unvernünftig, Verbindungen im Gegensatz zu den gesetzlichen Ordnungen zu schließen, wenn sie der Wahrheit dienen. Würden nicht diejenigen sittlich gut handeln, die heimliche Verbindungen schließen würden, um einen Tyrannen, der die Herrschaft im Staate widerrechtlich an sich gerissen hat, zu beseitigen? Ebenso schließen nun auch die Christen, da der Teufel die Herrschaft hat, Verbindungen, die vom Teufel verboten sind, gegen den Teufel und zum Heil und Schutz anderer, die sie vielleicht zum Abfall von dem (...) tyrannischen Gesetze bewegen können.“

Solche Befreiungstheologie wird auch von den Freemen in Anspruch genommen, die sich in Montana gegen das FBI verschanzt haben. Sie brauchen Origines nicht gelesen zu haben, um sich in einer heiligen Tradition zu wissen, wenn sie sich gegen die gesetzliche Ordnung des teuflischen tyrannischen Bundesstaats erheben. Wir sind erleichtert, wenn wir bei ihnen Anzeichen „ultrakonservativer“, „rechter“ oder „rechtsradikaler“ Gesinnung feststellen können, weil mit solchen vertrauten Festlegungen unsichtbar wird, daß es sich hier um apokalyptische Revolutionäre handelt, die im Kern der christlichen Überlieferung ihre geistige Nahrung finden.

Pagels versucht zu verstehen, „wie die Evangelien das Aufkommen der Jesus-Bewegung aus der parteiischen Nachkriegsperspektive des späten ersten Jahrhunderts widerspiegeln“. Jeder der Verfasser „bedient sich der Geschichte Jesu, um ,mit ihr zu denken‘ in einer unmittelbar bedrängenden Situation, indem er sich mit Jesus und den Jüngern identifiziert und denen, die er als Gegner betrachtet, die Rolle der Feinde Jesu gibt“. Dabei erfinden die Evangelisten eine neue Erzählform, die biographische Elemente mit der Thematisierung übernatürlicher Konflikte aus der jüdischen apokalyptischen Literatur kombiniert. Markus, der erste unter den kanonischen Evangelisten, schrieb vermutlich im letzten Jahr des jüdischen Kriegs (66–70) gegen die römischen Besatzer. Er stand vor der schriftstellerischen Herausforderung, zu beweisen, daß „jemand, der von seinen eigenen Anhängern verraten und, des Hochverrats gegen Rom beschuldigt, auf brutale Weise hingerichtet worden, der von Gott verheißene Messias nicht nur gewesen sei, sondern immer noch sei“. Wie konnte man so etwas behaupten, wenn nicht „mit dem Hinweis darauf, daß seine Gefangennahme und sein Tod nicht etwa die endgültige Niederlage, sondern nur ein erstes Scharmützel in einem kosmischen Konflikt gewesen sei, in den das Universum hineingezogen würde“. Die Jesus- Sekte hatte sich unter dem Eindruck der Naherwartung der entscheidenden Schlacht in diesem kosmischen Konflikt nicht an dem Aufstand gegen Rom beteiligt – die ganze Welt würde ohnehin bald erschüttert und verwandelt werden – und war daher in der jüdischen Gemeinschaft religiös und politisch isoliert. Gegenüber den Römern mußte sie ohnehin auf der Hut sein, da sie es mit einem verurteilten Aufrührer hielt. Um jeden Preis galt es jetzt, gegenüber den Unterdrückern harmlos zu erscheinen.

Pagels zeigt nun, wie in den dreißig Jahren von Markus zu Johannes die Römer, namentlich der grausame Statthalter Pilatus, in immer milderem Licht dargestellt werden, während die Juden immer stärker als Verantwortliche für den Tod Jesu erscheinen – eine folgenreiche Geschichtsklitterung. Aus der historischen Hinrichtung eines sektiererischen Rebellen durch die Besatzungsmacht wird der Sieg des Messias über die „Söhne der Finsternis“, der erste Akt in einem Kampf zwischen Gott und dem Teufel in Gestalt seiner Agenten, des Hohen Rats der Juden (so bereits Markus), der Pharisäer (so vor allem Matthäus), der Hohenpriester und Schriftgelehrten (Lukas), am Ende nur noch „der Juden“ (Johannes).

Elaine Pagels zufolge kann man „die Evangelien des Neuen Testaments nicht zureichend verstehen, wenn man nicht erkennt, daß sie ... Kriegsliteratur sind“. Ihr Buch ist ein Beitrag zu einer überfälligen geistigen Abrüstung.

Elaine Pagels: „Satans Ursprung“. Aus dem Amerikanischen von Jens Hagestedt. Berlin Verlag, 287 Seiten, geb., 39,80 DM