Für Israels Ministerpräsidenten Peres ist die Lage auch nach dem Massaker in einem UN-Flüchtlingslager klar: Schuld an den israelischen Angriffen auf den Süden Libanons ist die Hisbollah. Im Libanon droht der Versorgungsnotstand: Israelisch

Für Israels Ministerpräsidenten Peres ist die Lage auch nach dem Massaker in einem UN-Flüchtlingslager klar: Schuld an den israelischen Angriffen auf den Süden Libanons ist die Hisbollah. Im Libanon droht der Versorgungsnotstand: Israelische Kriegsschiffe beschießen die Küstenstraße nach Beirut. Dort wächst die Angst vor einem neuen Bürgerkrieg

Der Kampf um die Früchte des Zorns

Sechs Wochen vor den israelischen Parlamentswahlen steht Regierungschef Schimon Peres vor der schwierigen Aufgabe, die Militäraktion „Früchte des Zorns“ als Erfolg darzustellen. Gereizt trat der Ministerpräsident, der gleichzeitig Verteidigungsminister ist, nach dem Massaker im südlibanesischen UN-Camp gestern auf. Mit seinem Stabschef General Lipkin- Schahak an der Seite bekundete er sein Bedauern, daß durch israelische Granaten Zivilisten getötet wurden. Die Schuld dafür trüge jedoch ausschließlich die Hisbollah. Schahak rechtfertigte gar den tödlichen Beschuß des UN-Camps: „Ich kenne keine anderen Regeln als die der Selbstverteidigung.“ Den UN-Soldaten im Südlibanon empfahl er, in Deckung zu gehen: „Wenn Terroristen aus der Nähe von UN-Positionen auf uns schießen und die UNO-Truppe das nicht verhindert, muß ihr klar gewesen sein, daß wir zurückschießen werden, und sie hätte deshalb in Deckung gehen sollen.“ Israel habe die UNO-Truppe wiederholt aufgefordert, die Hisbollah am Abfeuern von Raketen aus der Umgebung ihrer Positionen zu hindern.

In der israelischen Presse gilt der Beschuß des UN-Camps dagegen als mögliches Ende der Militäroperation. „Das waren die fünf Granaten, welche die Operation ,Früchte des Zorns‘ zu Fall bringen“, hieß es gestern in der Jerusalem Post. Die Zeitung zitiert den Direktor des Zentrums für strategische und nationale Sicherheitsstudien in Galilea, Ruben Pedazur, mit den Worten: „Nach diesem Desaster bleibt der israelischen Armee keine andere Wahl mehr, als das Schießen einzustellen und mit Verhandlungen zu beginnen.“ Die Resultate dabei würden notwendigerweise weniger vorteilhaft für Israel ausfallen als ohne das Desaster.

In der Führung von Peres' Arbeitspartei herrscht Enttäuschung darüber, daß die Operation nicht den gewünschten Vorsprung der Partei gegenüber dem oppositionellen Likud bei den Wahlchancen gebracht hat. Ein Sprecher erklärte gestern: „In dieser schweren Stunde erwarten wir vom Likud, daß er die Regierung unterstützt und gemeinsam mit ihr Verurteilungen Israels in der Welt entgegentritt.“ Der Likud-Vorsitzende Netanjahu forderte Peres auf, „jetzt nicht zusammenzubrechen“. Die iraelische Armee solle „trotz des bedauerlichen Unglücks“ die Operationen gegen die Hisbollah zu Ende führen. „Tragische Fälle“ kämen in jedem Krieg vor.

Der Vorsitzende der der Arbeitspartei nahestehenden Arabischen Demokratischen Partei, Abd el-Wahhab Darausche, drohte, daß die arabische Bevölkerung Israels nicht für Peres stimmen werde, falls der Krieg im Libanon nicht sofort eingestellt werde. „Die brutale Politik von Peres im Libanon und in den besetzten Gebieten steht im Gegensatz zum Prinzip eines gerechten Friedens“, erklärte Darausche. In Tel Aviv, Haifa und Nazareth demonstrierten gestern linke Oppositionsgruppen gegen den Krieg. Sie forderten einen sofortigen Waffenstillstand und einen vollständigen Rückzug Israels aus dem Libanon.

Eine für den Unabhängigkeitstag in der kommenden Woche geplante Flugschau der israelischen Luftwaffe wurde wegen mangelnder Übungszeit von der Militärbehörde abgesetzt. Angesichts der Ereignisse sah sich Peres veranlaßt, den alljährlichen Empfang für arabische Persönlichkeiten des Landes abzusagen.

In Jerusalem traf gestern der französische Außenminister De Charette mit seinem israelischen Kollegen Ehud Barak zusammen und gab sich anschließend „optimistisch“ für eine baldige friedliche Lösung. Jetzt ist er in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Bill Clinton schickte seinen US-Außenminister Warren Christopher in den Nahen Osten.

Auch der US-Sondergesandte Dennis Ross sowie die italienische Außenministerin Susanna Agnelli für die EU-Ratspräsidentschaft machten sich auf den Weg. Rußlands Präsident Boris Jelzin entsandte Außenminister Jewgeni Primakow nach Syrien, Libanon und Israel. Bundesaußenminister Klaus Kinkel äußerte „Bestürzung“ über die hohe Zahl von Opfern bei dem Angriff vom Donnerstag. Nach Angaben eines Sprechers des Auswärtigen Amtes sagte er dem Libanon eine Soforthilfe von 150.000 Mark zu. Amos Wollin, Tel Aviv