Sanssouci
: Vorschlag

■ Bigotterie und Boshaftigkeit: „Jagdszenen aus Niederbayern“ im Theater Affekt

Kein Holldrio, kein Pseudobayerisch, kein Schuhgeplattle: Christoph Müller (Abram) und Michael Meyer (Rovo) Foto: Thomas Aurin

Querformat, frontal. So setzt das Theater Affekt die „Jagdszenen aus Niederbayern“ diesseits des Weißwurstäquators in Szene. Monoton orangerot ist die querformatige Bühne; die Rückwand eine in der Mitte zu öffnende und verschiebbare Mauer. Davor ein Steg, der ebenfalls quer über die Bühne ragt; außerdem ein unsichtbares Rinnsal zwischen Mauer und Steg, zugleich Bach und Pißrinne eines niederbayerischen Stalls. Ein klarer Raum, hermetisch abgeriegelt. Kein Ort für dörfliche Rammdösigkeit oder für großstädtisch persifliertes Bauerntheater. Was heute so hip sein könnte, das theatralische Amuse gueule bayerischer Mundart, wird hier konsequent verweigert. Kein Holldrio, kein Pseudobayerisch und Schuhgeplattle.

Ricarda Beilharz gestaltete die Bühne zusammen mit Hanna Zimmermann. Sie ist auch für die zwischen Clubwear, Arbeiterkluft und Hausfrauenstrick changierenden Kostüme verantwortlich. Als Gründungsmitglied der Truppe hatte Beilharz bisher die Bühnenbilder für etliche Affekt-Inszenierungen entworfen, nun führte sie erstmals Regie. Bühne sowie Auf- und Abtritte bilden dabei eine Einheit in Stil und Rhythmus: Köpfe sprechen über die Mauer, rittlings wird sie mal rechts, mal mittig überwunden – mal flott, mal unsportlich. Unvermittelt taucht eine Handpuppe auf und die Mauer wird zum Rahmen fürs Kasperletheater.

Zum Auftakt serviert Beilharz eine spiegelbildlich choreographierte Dorfgemeinschaft. Bigotterie und Boshaftigkeit übersetzt sie in ein Bild heiliger Dreifaltigkeit: Rechts und links die Dorftratschen, frömmelnd die Hände gefaltet, frisch gebeichtet und schon wieder am Lästern. In ihrer Mitte die „Schmerzensvolle“: Barbara, die Mutter eines schwulen Sohnes, der aus dem Gefängnis entlassen wieder ins Dorf zurückgekehrt ist. Abram versucht sein Glück und ein „normales“ Leben mit Tonka und weiß doch um die Unmöglichkeit dieses Versuchs. Klar, daß Tonka schwanger wird und daß das Dorf Gesprächsstoff hat. Vollendet wird die Provinzidylle vom Dreiergespann um die Bäuerin Maria. Nachdem ihr Mann als Soldat eingezogen wurde, war sie ein Verhältnis mit dem Knecht Volker eingegangen. Einziger Störfaktor, nachdem ihr Mann für tot erklärt wurde: der leicht debile Sohn Rovo.

„Jagdszenen aus Niederbayern“ spielt 1948, zu einer Zeit, als Homosexualität noch strafbar war und uneheliche Kinder sowie ebensolche Verhältnisse keine Gnade fanden. Auch 1965, als Martin Sperr das Stück schrieb, hatte die öffentliche Meinung zu solchen Dingen eine klare Haltung, zumal auf dem Land. 31 Jahre danach gibt es Schwule, uneheliche Kinder und uneheliche Verhältnisse überall. Doch Verleumdung, Intrigen und Notlagen, die schamlos ausgenützt werden, haben deswegen nicht aufgehört.

Nach dem strengen Auftakt-„Menuett“ verliert Beilharz die Ordnung. Wahllos, so scheint es, werden Stilelemente eingesetzt, um dem sonst reduzierten Spiel Highlights aufzusetzen. Eine Szene zwischen Tonka und Abram wird so lange wiederholt, bis der geduldig liebevolle Ton in Haß und Aggression umschlägt; die Kasperlefigur hat einen weiteren Auftritt, dann wird sie vergessen; für einen kurzen Moment taucht der Bauerntheaterton aus der Klamottenkiste auf. Irgendwann tanzen die Toten einen bayerischen Reigen, bevor in der Karnevalsdekoration ein herrlicher Schlußchoral erklingt. Die ruhigen, bewußt gedehnten Passagen hingegen halten die Spannung nicht immer. Vor allem die zentrale Szene zwischen Tonka und Abram zerbröselt zum phantasielosen Klischee: Allein mit schreckgeweiteten Augen und hysterischem Anfall darf sie hinnehmen, wie er die Beziehung beendet. Er hingegen reagiert quasi gar nicht auf die Nachricht von der Schwangerschaft.

Und die SchauspielerInnen? Bekannte Affektqualität wird geboten, auch in den weniger dankbaren Rollen. Michael Meyer als Rovo vereint mit spielerischer Leichtigkeit Scherz und Melancholie. Ebenso köstlich Kirsten Hartung als Tonka: Sie küßt Bierflaschen, daß man zerfließen möchte. Naiv, berechnend, erotisch, trotzig und zornig zeigt sie ihre Figur – mit herrlich weichen Übergängen. Leicht kann sie mit Christoph Müller mithalten, dem Profischauspieler aus dem BE. Leise und überaus präzise ist seine Interpretation von Abram – aufs Neue eine Bereicherung für das Off-Spiel Petra Brändle

Nächste Aufführungen: heute, vom 25.–27.4. und vom 1.–6.5., jeweils 20.30 Uhr. So., 28.5. um 11 Uhr. Theater Affekt, Fidicinstraße 17, Kreuzberg