Ungereimtheiten bei den Ermittlungen

Lübecker Brandkatastrophe: Anwältin fordert Haftprüfungstermin für beschuldigten Libanesen. Internationale Kommission wirft Staatsanwaltschaft Versäumnisse vor  ■ Aus Hamburg Jan Feddersen

Seit Ende Januar sitzt der libanesische Asylbewerber Safwan Eid in Lübecker Untersuchungshaft. Ihm wird vorgeworfen, für den Brand in einem Lübecker Asylbewerberheim, bei dem in der Nacht vom 18. auf den 19. Januar zehn Menschen ums Leben kamen, verantwortlich zu sein. Gestern hat seine Hamburger Verteidigerin Gabriele Heinecke Haftbeschwerde eingelegt, weil Eid zum Zeitpunkt der Tat nicht 21, sondern erst 20 Jahre alt war. Die Anwältin geht davon aus, daß die mit der Sache befaßten Gerichte daher gar nicht zuständig seien. Sie fordert daher einen Haftprüfungstermin, der zudem die Gelegenheit böte, die bisherigen Erkenntnisse der Lübecker Ermittlungsbehörden auf den Prüfstand zu stellen. Denn die von der Staatsanwaltschaft aufgestellte Behauptung, Eid habe „gegenüber einem Sanitäter in der Brandnacht den genauen Ort des Brandausbruchs bezeichnet und damit Täterwissen bekundet“, sei falsch, meint Heinecke. Aufgrund der mangelnden Deutschkenntnisse Eids stütze die Staatsanwaltschaft ihre Vorwürfe auf eine fehlerhaft übermittelte Aussage.

Auch auf andere Ungereimtheiten stützt sich die Haftbeschwerde Heineckes: So klar, wie der Lübecker Staatsanwalt Klaus-Dieter Schultz die Faktenlage darstelle, sei sie mitnichten. Weder sei der Brandherd unstrittig, noch daß das Feuer aus dem Haus heraus gelegt worden ist.

Bereits in der vergangenen Woche geriet die Lübecker Strafverfolgungsbehörde durch einen Beitrag des TV-Magazins „Monitor“ in die Kritik: Dort äußerte der Frankfurter Feuerexperte Ernst Achilles Zweifel an der Theorie, daß das Feuer nicht von außen gelegt worden sein könne. Staatsanwalt Schultz will sich zu diesen Vorwürfen nicht äußern: „Es ist nicht unsere Aufgabe, Ermittlungen öffentlich zu führen.“

Genau dies will nun eine „Internationale Unabhängige Kommission“ unternehmen, die sich auf Initiative Heineckes gestern in Lübeck gründete. In ihr arbeiten neben dem französischen Rechtsanwalt Christian Bruschi, dem britischen Rechtsprofessor Geoffrey Bindman, den italienischen Juristen Mario Angelelli, Angiolo Gracci und Arturo Salerni auch Felicia Langer, Beate Klarsfeld sowie der niederländischen Advokat Hans Langenberg mit. „Wir gehören zu den Menschen in Europa, die mehr und mehr alarmiert sind von den Nachrichten, die aus Deutschland kommen“, heißt es in einer Erklärung.

Die Kommission, so Mario Angelelli, sei angetreten, um dem deutschen Rechtssystem zu helfen. Der wichtigste Vorwurf der Gruppe richtet sich gegen die Staatsanwaltschaft, die „die Brandstifter und Mörder nicht mehr bei den Rassisten und anderen fremdenfeindlichen Gruppen sucht, sondern eine Person verhaftet hat, deren Familie selbst bedroht“ sei. Gestern versuchten Langer, Langenberg und Bindman, Eid im Untersuchungsgefängnis zu besuchen – doch selbst die staatsanwaltschaftliche Erlaubnis, mit Eid sprechen zu dürfen, scheiterte am Gefängnispersonal: Ein Gespräch sei nur möglich im Beisein eines Kripobeamten.

Ernsthaft ist die Kommission wohl nicht wirklich daran interessiert, den deutschen Ermittlungsbehörden juristisch unter die Arme zu greifen. Die Gruppe sieht es vor allem als ihre Aufgabe an, die Lübecker Staatsanwaltschaft zu ermahnen, auch andere Spuren zu verfolgen. Daß dabei im Eifer der Alarmierten vor jeder eigenen Recherche ein Brandanschlag von fremdenfeindlicher Seite festzustehen scheint, muß nicht gegen die Arbeit der Kommission sprechen.

Tatsächlich ist die Beweislage der Lübecker Staatsanwaltschaft so dünn, daß man in schleswig-holsteinischen Justizkreisen allgemein davon ausgeht, daß das Gerichtsverfahren gegen Eid, das im Herbst anberaumt werden soll, mit einem Freispruch mangels stichhaltiger Beweise enden wird. Bis dahin besteht gute Aussicht, daß der Untersuchungshäftling auf freien Fuß gesetzt werden muß. Ob darüber hinaus auch weitere Spuren wieder aufgenommen werden, ist unklar: Die drei Jugendlichen aus Grevesmühlen, die unmittelbar während des Brandes am Tatort gesehen wurden, hatten nach Auskunft der Staatsanwaltschaft allesamt Alibis für den Zeitpunkt des Brandbeginns.