Sanssouci
: Nachschlag

■ Grausam: "Lieblieb" im Theater zum Westlichen Stadthirschen

„Lieblieb“ also. Das war hart. Irgendwann während des qualvollen Abends verkündet eine Figur: „Ich leide an vitaler Trauer.“ Keine Ahnung, was das sein könnte, ich jedenfalls trauere um die Stadthirschen. Was ist bloß in das einst so spannend arbeitende Ensemble gefahren? Interne Flügelkämpfe hin oder her, so geht es nicht. „Lieblieb“, produziert von dem einen Flügel, ist eine jämmerliche Darstellung, bei der man nicht weiß, wem mehr Mitgefühl gebürt: dem armen Zuschauer, der sich in seinem Sitz windet, der Regisseurin, die sich pseudopostmodern mit dem Stück herumschlägt, oder den Darstellern, die hyperaktiv ihren Text bebildern: „Die Stimme schabt den Brustkorb aus“, jammert die Figur Rudi Brada, und Dominik Bender schabt mit seinen Händen über die Brust. Gestelzte Theatralik noch und nöcher. Kunstpausen nach jedem Satz, rollende Augen, unerträgliche Klischeedebilität, Gentlemanstummfilmmusik für die scheinbar harmonischen Szenen, Technoterror für gewaltvolle Ausbrüche. Ein Satinanzug und ein Satinkostümchen sollen den sadistischen Alkoholiker und die einsame Psychotikerin, gerade aus der Anstalt entlassen, in die Mittelklasse entführen. Will heißen: Wir sind alle genauso grausam, einsam, verrückt und beziehungsunfähig.

Antje Siebers traut dem Stück von Ludwig Fels offensichtlich nicht über den Weg: Drei Figuren kommentieren die Begegnung via Mikrofon, und sie schütten sich aus vor Lachen, als sie uns zu sagen haben, daß es „zwei reale Figuren in diesem Stück“ gibt. Später greifen sie ins Geschehen ein. Mit Perücken im Vivienne- Westwood-Stil geben sie Rudis verblichene Ehefrau sowie deren Eltern. Natürlich verwickeln sich Brada und seine Angetraute beim Tänzchen im blutroten Schleier, um die symbiotisch-erwürgende Beziehung zu erklären. Nein, nein, nein: Warum führt man ein Stück auf, wenn einem dazu nur Plattitüden und spöttische Distanzierung einfallen? Eine derartige Minusphantasie auf solch banalem Niveau will niemand sehen. Ach, ach, ihr Leutchen vom Stadthirschen, versöhnt euch doch wieder! Auch ein Hirsch braucht zwei Flügel zum Fliegen. Petra Brändle

Bis 2.6., Do.-So., 20 Uhr, Theater zum westlichen Stadthirschen, Kreuzbergstraße 37, Kreuzberg