: Das Scheitern kommt pünktlich zum 1. Mai
■ Die Gewerkschaftsbasis gibt sich zunächst unschlüssig bis sauer: Jedenfalls soll der Protest gegen eine „andere Republik“ wieder auf die Straße getragen werden
An der Basis wird der Entschluß des DGB-Vorsitzenden Dieter Schulte, sich vorerst nicht mehr an den Gesprächen über das Bündnis für Arbeit zu beteiligen, mit allgemeiner Ratlosigkeit aufgenommen.
Vielerorts hat man sowieso andere Sorgen: Den Betriebsrat des Kölner Stadtanzeigers beschäftigen drohende Rationalisierungsmaßnahmen, bei „Hertie“ ist das Ladenschlußgesetz interessanter. In vielen Betrieben haben sich die Betriebsräte noch keine Meinung zum Rückzug Schultes gebildet. Nur in einem herrscht Einigkeit: Von Anfang an hatte man dem Bündnis mißtrauisch gegenübergestanden. Als einer der wenigen gab Albert Vetter, Betriebsratsvorsitzender in der bayerischen Maxhütte, gestern eine Stellungnahme ab: „Die Bundesregierung wäre gut beraten, sich um die Steuerflüchtlinge zu kümmern, anstatt den kleinen Leuten an die Taschen zu gehen.“ 22 Milliarden Mark Verluste entstünden jährlich durch Betriebsunfälle. Dazu käme die Erkenntnis der Bundesanstalt für Arbeitsschutz, daß ein Drittel der Krebserkrankungen berufsbedingt seien.
„Wenn die Regierung endlich für einen wirksamen Schutz der Arbeitnehmer sorgen würde, dann könnte hier viel Geld gespart werden“, meint Vetter. Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sei für die Gewerkschafter eine „heilige Kuh“. Dieses Recht hätten sie sich zu schwer erkämpft, um es jetzt einfach kampflos wieder aufzugeben. Keinem Topmanager werde wegen einer Erkrankung der Lohn gekürzt – wie könne man das einem Stahlarbeiter erklären, der im Schichtbetrieb 2.400 Mark verdient und davon seine Familie ernähren soll?
„Zu mir kommen die Kollegen und jammern schon jetzt, daß sie ihre Schulden nicht mehr bezahlen können. Die sollen es akzeptieren, daß ihnen im Krankheitsfall der Lohn gekürzt wird?“ ereifert sich Vetter und warnt: „In den Betrieben fehlt nur noch der Funke.“
Am 1. Mai soll dieser Funke überspringen. Die Gewerkschaften wollen zu Protesten gegen die Pläne zur Einschränkung der Krankengeldzahlungen und des Kündigungsschutzes mobilisieren. Die Bundesregierung und die Arbeitgeber hätten in der Kanzlerrunde gezeigt, daß sie „eine andere Republik wollen“, sagte die DGB- Landesbezirksvorsitzende von Berlin-Brandenburg, Christiane Bretz. Ihnen gehe es nicht um den Abbau der Massenarbeitslosigkeit, sondern um die „hemmungslose Zerstörung sozialer Schutzrechte der Arbeitnehmer“. Der Protest dagegen müsse jetzt auf die Straße getragen werden. Einen totalen Abbruch der Gespräche will sie dennoch nicht. Das bisher Erreichte soll nicht vergessen werden. Trotz der „Kampfansage aus Bonn“ müsse der Dialog mit den Landesregierungen in Berlin und Brandenburg weitergehen, forderte Bretz.
Regional müsse ein von den Gewerkschaften ins Leben gerufenes Bündnis für Arbeit unter anderem durch einen effizienten Einsatz von Fördermitteln oder Änderungen bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen begleitet werden. Auch die Unternehmensverbände von Berlin und Brandenburg forderte sie auf, konstruktiv mitzuarbeiten. Blockade diene niemandem, am wenigsten den Arbeitslosen. Stefan Kuzmany, Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen