: Transeuropäischer Verkehr in der Sackgasse
Europas Regierungen wollten ihren Kontinent mit neuen Straßen, Schienen, Kanälen und Telefonleitungen überziehen. Doch jetzt fehlt ihnen dafür das Geld, und das Europaparlament fühlt sich von der EU-Kommission übergangen ■ Von Christian Rath
Eine integrierte Volkswirtschaft braucht eine integrierte Infrastruktur, schrieb 1993 Kommissionspräsident Jacques Delors in sein Beschäftigungs-Weißbuch. Der Aufbau europäischer Netze für Verkehr, Energie und Telekommunikation sollte Arbeitsplätze schaffen, nicht nur für Ingenieure und Bauarbeiter, sondern auch für die Regionen.
Aber Delors' transeuropäische Netze stehen vorerst nur auf dem Papier. Die öffentlichen Kassen sind leer, private Geldgeber halten sich zurück, und Europäisches Parlament und Ministerrat können sich nicht einmal über die zugrunde liegenden Leitlinien einigen. In den nächsten sechs Wochen muß ein Vermittlungsausschuß die Lösung finden. Sonst gibt es nicht einmal eine Anschubfinanzierung von der Union.
Noch im Dezember 1994 beschloß der EU-Gipfel in Essen eine Liste mit 14 prioritären Projekten, in der Regel allerdings versehen mit dem Vermerk „Finanzierung unklar“. Insgesamt wird mit einem Kostenaufwand von 800 Milliarden Mark bis zum Jahr 2010 gerechnet. Die EU selbst kann nur Machbarkeitsstudien und zinsgünstige Kredite finanzieren. Für die eigentliche Finanzierung von Planung und Bauarbeiten müssen Mitgliedstaaten und die Privatwirtschaft aufkommen.
Ganze 520 Millionen Mark sind 1996 im EU-Haushalt vorgesehen. Auch dem heutigen Kommissionspräsident Jacques Santer kommt das etwas wenig vor. Deshalb reist er derzeit durch die europäischen Hauptstädte, um für seinen „Vertrauenspakt für Beschäftigung“ zu werben. Rund zwei Milliarden Mark, die im Agrarhaushalt nicht ausgegeben wurden, will Santer für die transeuropäischen Netze umwidmen.
Aber die nationalen Finanzminister sähen das Geld lieber in ihren eigenen Kassen. Gut möglich, daß die EU in diesem Jahr gar kein Geld für die Verkehrsnetze ausgeben kann. Denn die dazu erforderlichen Leitlinien liegen auf Eis. Sie sollten näher beschrieben, wofür eigentlich Geld bereitgestellt werden kann. Auf Karten sind unzählige Straßen-, Schienenverbindungen, Flug-, See- und Binnenhäfen eingezeichnet. 75 Prozent der EU- Gelder will der Rat den 14 in Essen beschlossenen „prioritären Projekten“ vorbehalten, die in den Leitlinien gar nicht besonders erwähnt sind. Das verärgert das Europaparlament Es darf damit nur über die Leitlinien, nicht aber über die Prioritäten mitentscheiden. „Der Rat will Krieg, also bekommt er Krieg“, droht Willy Pieczyk, der sozialdemokratische Berichterstatter des Parlaments.
Der Umweltschutz kommt nur am Rande vor
Die Parlamentarier wollen den Leitlinien nur zustimmen, wenn in einem Anhang alle prioritären Projekte aufgezählt werden. Ein Streit ums Prinzip. Denn die 14 Projekte werden auch vom Parlament nicht mehr in Frage gestellt, obwohl manche, etwa die Öresund-Verbindung, ökologisch umstritten sind. Statt dessen soll die Liste um 26 weitere Projekte ergänzt werden, in Deutschland etwa den Flughafen Berlin (wo immer er sein mag) und den Elbe-Oder- Kanal – eine wenig zwingende Liste, mit der das Parlament vor allem seinen Gestaltungswillen beweisen will.
Wichtiger ist der zweite Streitpunkt. Das Parlament fordert für alle Projekte eine „strategische“ Umweltverträglichkeitsprüfung. Bei der Planung einer Autobahn soll nicht nur die Trassenführung untersucht, sondern auch gefragt werden, ob nicht eine Schienenverbindung ökologisch günstiger wäre. Der Rat dagegen will Umweltbelange lediglich „berücksichtigen“. Konsequent ist das Parlament allerdings nicht: Für seine Prioritätenliste ist die strategische UVP nicht vorgesehen.
Wenn sich Rat und Parlament nicht binnen sechs Wochen einigen, beginnt die ganze Prozedur von vorne. Den europäischen Umweltverbänden wäre das ganz recht. Guy Kunemans vom Dachverband der Verkehrsinitiativen „Transport&Environment“ warnt: „Der Beschäftigungseffekt gerade des Straßenbaus wird völlig überschätzt. Eine Denkpause für jedes einzelne Projekt täte gut.“
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