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„Reich wird man da nicht“

■ Acht Öko-Wochenmärkte gibt es mittlerweile in Hamburg, der jüngste bietet in Ottensen Biologisch-Dynamisches feil Von Sonja Schmitt

„Ich habe Angst, im Supermarkt einzukaufen“, gesteht Anna Fischer, „da weiß ja niemand mehr, was in den Lebensmitteln drin ist.“ Die 34jährige steht mit ihren drei Kindern am Gemüsestand auf dem Ottenser Ökomarkt, der seit Anfang April immer mittwochs von 9 bis 12.30 Uhr den Spritzenplatz ziert. Das Markttreiben ist an diesem Vormittag beschaulich. Nur an den Fleisch- und Fischständen drängelt sich die Kundschaft. „Seit dem BSE-Skandal stehen die Leute an den Theken Schlange“, berichtet Jakob Neumann, der einen kleinen Imkerstand hat, neidvoll. „Ich habe heute gerade mal die Standgebühr, also knapp 70 Mark, reingekriegt.“

Die Eier kosten 40 bis 60 Pfennig, der Kopfsalat 3,75, die Gurke 3,95 Mark. GenießerInnen der biologisch-dynamischen Kost müssen tief in den Geldbeutel greifen. Dafür gibt es an den 13 Ständen nahezu alles, was das ökologisch bewußte Herz begehrt, angefangen bei Vollkornbrot, Honig, Obst und Gemüse über Kaffee und Tee bis hin zu Käse, Fisch und Fleisch, Kinderkleidung und Gesundheitsschuhen. Alle 14 Tage werden Artikel aus Hanf angeboten.

Tillmann Rauhaus macht neben seinem Gemüsestand eine Kaffepause. Der 23jährige hat einen harten Job: „In der Erntezeit muß man bis zu 20 Stunden ran, und Wochenende kann man vergessen“, erzählt der gelernte Landwirt gelassen. Seit fünf Jahren arbeitet er auf dem Demeter-Hof Gut Wulfsdorf in der Nähe von Ahrensburg. „Reich wird man dabei nicht“, sagt Rauhaus, „da braucht–s schon ne Menge Ideologie und Überzeugung.“

Ökomärkte gibt es in Hamburg seit sechs Jahren. „Nach der Tschernobyl-Katastrophe von 1986 wollten wir unsere Kinder gesünder ernähren“, erzählt Gerd Faika, der gemeinsam mit seiner Frau die mittlerweile acht Hamburger Ökomärkte ins Leben rief: „Zuerst waren wir in einer Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaft. Jeden Freitag wurden die Lebensmittel geliefert und stapelten sich in der Küche – ein absolutes Chaos“, erinnert sich der 43jährige grinsend: „Deshalb gründeten wir einen entsprechenden Einkaufsmarkt.“

Seit dem 1. Januar 1993 regelt eine EU-Verordnung den ökologischen Landbau. Alle Produkte, die mit Begriffen wie „ökologisch“ oder „biologisch“ werben, müssen den EU-Richtlinien entsprechen, die unter anderem den Einsatz von synthetischen Düngemitteln und Pestiziden untersagen. Damit wurde erstmals eine klare rechtliche Grundlage geschaffen, um gegen schwarze Schafe in der Branche vorzugehen. Mißtrauische KundInnen können an den jeweiligen Ständen auf dem Nachweis der EU-Kontrollnummer bestehen. Allerdings gilt dies vorerst nur für pflanzliche Lebensmittel, eine Regelung für tierische Produkte ist in Vorbereitung.

Die Verbraucherzentrale hat Anfang des Jahres die Hamburger Ökomärkte auf ihre Rechtschaffenheit hin überprüft. Der Bericht ist demnächst zusammen mit einer sogenannten „Bioliste“ über Naturkostläden, Reformhäuser, Märkte und Bauernhöfe bei der Verbraucherzentrale zu beziehen. „Unsere Ergebnisse sind durchweg positiv“, freut sich Silke Schwartau, Leiterin der Ernährungsabteilung. Bundesweit sieht dies allerdings anders aus: 339 Wochenmärkte mit über 3000 Obst- und Gemüseständen wurden überprüft; knapp 80 Prozent der HändlerInnen konnten das EU-Zertifikat nicht vorweisen.

Andreas Handke von Bioland betrachtet die EU-Kontrolle kritisch: „Früher haben wir uns bei Bioland gegenseitig überprüft. Wir kannten unsere Pappenheimer und haben dort entsprechend genauer hingeschaut“, erzählt der 36jährige Bauer. „Jetzt gibt es mit der EU-Regelung eine objektive Kontrolle, was für die VerbraucherInnen grundsätzlich gut ist, aber diese Überprüfung ist auch anonymer.“

Je nach Stadtteil ist das Publikum auf den Märkten unterschiedlich. „In Nienstedten wird eingekauft, ohne nach dem Preis zu fragen“, weiß Faika: „Die Ottenser sind – zwangsläufig – preisbewußter.“ Trotzdem sind die meisten HändlerInnen mit ihrem Umsatz zufrieden.

Pünktlich um 12.30 Uhr kommt Bewegung in den ansonsten eher gemütlichen Markt: Um 14 Uhr beginnt der Ökomarkt in Harburg.

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