■ Hinterbank: Immune Hanfbauern
Wo kann man in Berlin am ungestörtesten Drogen anbauen? Im Grunewald, in Wagenburgen oder in der eigenen Wohnung? Falsch. Im Zentrum der Macht natürlich – im Abgeordnetenhaus. Abgesehen davon, daß die Polizei den Preußischen Landtag erst durchsuchen darf, wenn der Pfeifentabak rauchende Parlamentspräsident Herwig Haase (CDU) dies genehmigt, verfügen zwei Fraktionen über glasbedachte gewächshausartige Innenhöfe auf dem Dach des Preußischen Landtags: die Bündnisgrünen und, seit dieser Wahlperiode, die PDS anstelle der abgewählten FDP.
Während besonders bei der FDP die 60 Quadratmeter ungenutzt, aber dafür immer aufgeräumt, vor sich hin dümpelten, züchteten die Grünen während ihrer langjährigen parlamentarischen Tätigkeit in dem altehrwürdigen Gebäude einen regelrechten Dschungel heran.
Vielleicht ist es deshalb niemandem aufgefallen, daß zwischen gesetzestreuen Kletterpflanzen zumindest im vergangenen Jahr auch vereinzelt verbotenes Marihuana wuchs. Dabei gehörte zu den Hanfbauern mit parlamentarischer Immunität wie Judith Demba und die heutige Schöneberger Bürgermeisterin Elisabeth Ziemer auch eine Symphatisantin der Volksvertreterszene, die staatlichen Ermittlungsbehörden völlig schutzlos ausgeliefert war und ist.
Kathrin Schwahlen, ohne Abgeordnetenhausmandat, vom Geschäftsführenden Ausschuß der Grünen hat mitgesät. Sie hatten die siebenblättrigen Pflanzen mit und ohne antörnendes THC regelmäßig mit Wasser versorgt, um mit ihnen im Wahlkampf auf Stimmenfang zu gehen. Bei Vorstellung einer Broschüre „Hanf als Nutzpflanze“ wollten die drei Politikerinnen demonstrieren, daß man aus Hanf nicht nur Papier, Textilien und Kosmetik herstellen kann, sondern beim Inhalieren eines Grasjoints auch gewollte – weil erfreuliche – medizinische Nebenwirkungen erzielen kann.
Die Pflanzen kamen aber dann doch nicht zum Einsatz. Zwar waren sie bis auf anderthalb Meter herangewachsen, doch einen Monat vor der Wahl im Oktober wurden sie plötzlich braun und „knickten weg“, wie sich Raucherin Demba heute noch erinnern kann: „Wir hatten noch nicht soviel Ahnung vom Hanfanbau.“ Sie wurden zwar in den Fraktionsräumen getrocknet, später auch geraucht, aber eine halluzinogene Wirkung konnten die Parlamentarierinnen nicht ausmachen. Dann landeten die Früchte des Feldversuchs im Müll.
So fand die Pressekonferenz mit Broschüre, aber ohne Joint statt. Angeblich haben die drei später den illegalen Anbau nie wieder aufgenommen, weil nach den Wahlen das Thema „Legalize it!“ im Alltag politischer Arbeit kaum mehr eine Rolle gespielt habe. Die Moral der Geschicht'? Rechtsfreie Räume allein reichen für Erfolg noch nicht. Dirk Wildt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen